Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Silicon Jungle

Silicon Jungle

Titel: Silicon Jungle
Autoren: Shumeet Baluja
Vom Netzwerk:
Er kannte sie auswendig.
    Er beobachtete sie. Die Fußkettchen, die sie trug – sie waren ihm nie zuvor aufgefallen. Wenn sie genau in dem Moment, wo ihre Füße einander zufällig berührten, nichts sagte, konnte er so eben das Geräusch vernehmen, das die Kettchen machten, wenn sie aneinanderrieben. Bei jedem ihrer Schritte hielt er den Atem an, um ein zusätzliches bisschen Stille zu erzeugen, und lauschte auf das leise Klirren.
    Während sie noch weitersprach kam ihm der Gedanke, dass er schon zu lange unter dem Schreibtisch lag. Er bugsierte sich ungelenk in eine sitzende Position. Und als er schließlich unter dem Tisch hervorlugte, blickte er geradewegs in Allisons Gesicht, das nur wenige Zentimeter von seinem entfernt war.
    »He«, sagte sie leicht überrascht, »ich dachte schon, Sie wären eingeschlafen. Bitte sagen Sie mir, dass Sie wenigstens ein bisschen was mitbekommen haben.«
    »Ja, hab ich. Danke, Mrs. Glace«, erwiderte er leise. »Sie haben recht. Sie wissen ja, dass ich mich hier wohlfühle, aber ich denk drüber nach. Versprochen.«
    Allison lächelte matt. Er vermutete, dass sie auch ihren Sohn so anschaute. »Okay, aber denken Sie wirklich darüber nach, Stephen. Das Leben ist nämlich kurz.«
     
    »Mach dir um mich keine Gedanken, Stephen. Ich hab schon einen Job gefunden«, sagte Ryan, einer von Arthurs Assistenten. »Ich hab heute Morgen bei GreeneSmart unterschrieben. Schau doch irgendwann mal vorbei. Das Essen dort ist besser als in den Tankstellen, wo du immer hingehst.«
     
    Stephen besuchte Ryan tatsächlich – zwei Tage nachdem SteelXchange endgültig dichtgemacht hatte. Dabei lief er dem Leiter vom Technischen Support über den Weg, ein Treffen, das Ryan arrangiert hatte, wie er vermutete.
    »Sie sind also Stephen? Ryan hat mir schon viel von Ihnen erzählt. Sie sind das Technikgenie. Wir könnten Sie wirklich gut gebrauchen – unsere PCs und Faxgeräte sind der reinste Murks. Meinen Sie, Sie könnten uns unter die Arme greifen?«
    Ob in Ermangelung eines Alternativplans, oder weil er nicht immer nur daran denken wollte, was er seinen Angestellten angetan hatte, oder einfach von dem Wunsch getrieben, ein paar Wochen in der Nähe eines Freundes zu sein – Stephen nahm jedenfalls eine Teilzeitstelle an, bei der er dem Leiter vom Technischen Support bei GreeneSmart unmittelbar unterstellt war. Zweieinhalb Jahre später hatte Ryan längst gekündigt und Arthur war zurück an die Uni gegangen, um zu promovieren. Stephen arbeitete inzwischen ganztags bei GreeneSmart.
    Das Gespräch war zu Ende. Stephen sprang auf, vielleicht einen Tick zu schnell, denn Allison musste hastig einen Schritt zurückweichen. Er überlegte, ob er sie umarmen sollte; es tat gut zu wissen, dass jemand sich seinetwegen Sorgen machte. Er hoffte, dass er seinen Mitarbeitern auch so ein Gefühl vermittelt hatte.
     
    Siebzig Leute hatten ihm vertraut. Für neunundvierzig von ihnen hatte er eine neue Stelle gefunden. Die übrigen einundzwanzig jedoch wurden von den Dotcom-Ruinen um ihn herum weniger nachsichtig behandelt.
    Wochen nach der Schließung von SteelXchange erhielt er die ersten Anrufe. Die Gemüter hatten sich beruhigt, und seine früheren Mitarbeiter kamen auf die Idee, sich zu erkundigen, wie es ihm ergangen war. Keiner von ihnen machte Stephen irgendwelche Vorwürfe, nicht mal diejenigen, die ärmer und mit mehr Schulden als je zuvor nach Pittsburgh zurückgekehrt waren.
    Statt Allison irgendetwas davon anzuvertrauen oder sie zu umarmen, murmelte er verlegen irgendetwas und stolperte zur Tür hinaus.

ANTHROPOLOGEN MITTENDRIN
    März 2005.
     
    Worauf die drei Monate Friedenskorpsausbildung Molly am wenigsten vorbereitet hatten, war die Einsamkeit. Nach vierzig Tagen in Kamerun hatte sie erst einen Menschen getroffen, der sie nicht wie eine neuartige Exotin behandelte: Sandrine, ein schönes vierzehn Jahre altes Mädchen mit Augen, denen kein Coverfoto des National Geographic je gerecht werden könnte. Sandrine und ihr einjähriger Sohn Francis waren die Einzigen, die für Molly so etwas wie Freunde geworden waren.
     
    Aus Mollys Kamerun-Tagebuch:
     
    42. Tag: Sandrine ist jetzt offiziell die Einzige, die noch nicht darum gebettelt hat, mein Handy oder meinen Vorrat an Zigaretten sehen zu dürfen, den ich mir zum Tauschen angelegt habe. Hätte ich das gewusst, hätte ich jede Menge mehr mitgebracht – und Froot Loops, alle hier sind ganz verrückt nach Froot Loops. Ich kaufe welche bei jeder
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher