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Sieben Siegel 00 - Jenseits des Jahrtausends

Sieben Siegel 00 - Jenseits des Jahrtausends

Titel: Sieben Siegel 00 - Jenseits des Jahrtausends
Autoren: Kai Meyer
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Ottwald, ein reicher Händler, der einen halben Tagesritt entfernt ein prächtiges Gut unterhielt. Die Leute erzählten sich, sein Vermögen habe er nur Betrug und dem Handel mit verdorbener Ware zu verdanken. Niemand hier im Dorf mochte ihn, und kaum einer kaufte bei ihm ein. Deshalb war es umso merkwürdiger, dass es ihn heute hierher verschlagen hatte – noch dazu mitsamt seiner Familie und seinem Gefolge.
    Und warum, um alles in der Welt, ließ Ottwald die Ladung seiner Karren in die Kirche tragen?
    Als einige der Dörfler aufbegehrten und zu wissen verlangten, was hier vorgehe, baute Ottwald sich mit eitler Miene vor ihnen auf, stemmte die Hände in die Hüften und verkündete:
    »Bewohner von Giebelstein! Die Sonne geht heute zweimal auf über eurem Dorf. Ihr dürft euch glücklich schätzen. Denn ich, Ottwald von Rehn, habe beschlossen, diese eure Kirche zu meinem neuen Zuhause zu machen.«
    Ottwalds Stimme war dröhnend und Ehrfurcht gebietend, und nicht wenige der Giebelsteiner zuckten eingeschüchtert zusammen.
    Auch Dea legte keinen Wert darauf, sich mit dem widerlichen Kerl anzulegen. Trotzdem war sie eine der wenigen, die Mut genug zum Widerspruch aufbrachte.
    »Warum in unserer Kirche?« rief sie so laut, dass alle es hören konnten.
    Von Seiten der Dörfler trafen sie erstaunte Blicke. Dea galt als kratzbürstig und eigensinnig. Sie hatte nicht viele Freunde im Dorf. Dass sie nun aber gegen den mächtigen Händler aufbegehrte, nötigte den meisten Respekt ab.
    Im ersten Moment sah Ottwald aus, als wollte er ihren Einwurf gar nicht beachten. Als jedoch, angesteckt von Deas Kühnheit, weitere Rufe laut wurden, sorgte Ottwald mit einer herrischen Handbewegung für Ruhe.
    »Es ist ein schönes Gebäude« begann er, »und –«.
    Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden, denn im selben Moment öffnete sich eine Gasse in der Menschenmenge, und eine gebeugte Gestalt humpelte heran. Es war Hartwig, der Priester von Giebelstein. Er war alt und gebrechlich und musste sich beim Gehen auf einen Krückstock stützen. Ihm war anzusehen, dass er vor Zorn kochte.
    »Ottwald!« schrie der Priester aufgebracht. »Was bildest du dir ein? Ein schönes Gebäude, sagst du? Pah!« Der Priester löste sich aus der Menge und blieb vor Ottwald stehen. Der Händler überragte ihn um mehr als eine Haupteslänge. »Ich weiß, was du planst!« brüllte der alte Mann dem Fetten ins Gesicht. »Die Jahrtausendwende naht. Allerorts spricht man davon, dass die Welt bald untergehen wird. Überall im Land fliehen Betrüger wie du in die Kirchen, weil sie glauben, darin vor dem Zorn des Herrn in Sicherheit zu sein.«
    Ottwald lächelte dünn. »Nun, wenn du schon alles weißt, alter Mann, so müssen wir uns wohl nicht länger mit Erklärungen aufhalten.«
    Mit diesen Worten zog er ein blitzendes Kurzschwert aus seinem Gürtel und hielt dem Priester die Spitze unters Kinn.
    »Du wirst dich mir nicht entgegenstellen« zischte der Händler bösartig. »Ich, meine Familie und mein Gefolge beanspruchen diese Kirche vom heutigen Tag an für uns. Ihr alle mögt hier draußen verrotten, wenn das Jüngste Gericht über die Welt hereinbricht. Wir aber werden von dort drinnen zuschauen … und vielleicht, wenn ihr euch bis dahin freundlich verhaltet, ein Gebet für euch sprechen.«
    Dea war überzeugt, dass Ottwald den Verstand verloren hatte. Was bildete dieser Kerl sich ein?
    Die Nachricht, dass mit dem Wechsel ins neue Jahrtausend die Welt und die Menschheit ein Ende finden sollten, war keineswegs eine Neuigkeit. Schon lange geisterten Gerüchte darüber durchs Land und waren mit den fahrenden Händlern und Wanderpredigern auch nach Giebelstein vorgedrungen. Die Zeiten waren finster und unsicher, und die Menschen fürchteten den Wechsel ins neue Jahrtausend. Denn dann, so hieß es, würden die Engel des Herrn herabfahren, alles verheeren und die Seelen der Menschen mit sich vor den Thron des Allmächtigen führen. Dort würde über ihr Dasein nach dem Tod bestimmt: ewiges Glück im Himmel oder endlose Verdammnis in den Feuern der Hölle.
    Hartwig jedoch, der Giebelsteiner Priester, hatte all dieses Gerede als Frevel abgetan. Die Kirche, so verkündete er, glaube nicht an die Gerüchte und unterstütze niemanden, der sie verbreite. Es werde keinen Weltuntergang und kein Jüngstes Gericht geben – nicht in diesem Jahr und nicht im nächsten. Den meisten Gläubigen hatte er mit seinen Worten die Angst genommen, wenn auch nicht die allerletzten
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