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Sieben Jahre später

Sieben Jahre später

Titel: Sieben Jahre später
Autoren: Guillaume Musso
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und Nacken waren steif. Sein Körper trug noch die Spuren der Schläge von Youssef und seinen Handlangern. Er hob den Blick und sah sich im Spiegel an: unrasiert, das Haar schweißverklebt, in den Augen ein ungesundes Funkeln. Das Hemd war feucht und voller Schweißränder. Er wandte sich eilig ab und öffnete die Schwingtür zum Badezimmer.
    In ein Handtuch gehüllt, stieg Nikki aus der Dusche. Das ungekämmte, nasse Haar fiel ihr über die Schultern wie verschlungene Lianen. Sie fröstelte. Sebastian war auf eine Flut von Vorwürfen gefasst, doch stattdessen trat sie auf ihn zu und sah ihn durchdringend an.
    Ihre grünen Augen blitzten. Der Dampf ließ das Gesicht, über das sich Sommersprossen wie Goldstaub verteilten, noch weißer erscheinen.
    Mit einer heftigen Bewegung zog Sebastian sie an sich und presste seine Lippen auf die ihren. Dabei öffnete sich das Handtuch, glitt zu Boden und enthüllte Nikkis nackten Körper.
    Sie zeigte keinen Widerstand, sondern gab sich diesem leidenschaftlichen Kuss hin. Eine Welle des Verlangens erfasste Sebastian und entzündete ein Feuer in seinem Leib. Während sich ihr Atem vermischte, erkannte er den Geschmack ihrer Lippen und die Frische ihrer Haut wieder. Die Vergangenheit hatte ihn eingeholt. Alte Gefühle stiegen in ihm auf und setzten widersprüchliche Erinnerungen frei.
    Sie klammerten sich aneinander, Trost vermischte sich mit Angst, Anziehungskraft mit Fluchtbedürfnis. Ihre Muskeln spannten sich an, ihre Herzen schlugen schneller. Sie setzten sich über die Verbote hinweg und befreiten sich von den Fesseln, die sie seit Jahren zu Gefangenen von Frustration und Groll gemacht hatten.
    Ein klarer, heller, ja fast melodischer Ton unterbrach plötzlich ihre Umarmung.
    Camilles Handy!
    Das Zeichen für eine eingehende SMS holte sie in die Wirklichkeit zurück.
    Sebastian knöpfte sein Hemd zu, und Nikki hob ihr Handtuch auf. Sie liefen ins Zimmer und knieten sich vor das Handy. Ein kleines Zeichen auf dem Display zeigte zwei E-Mails an. Es handelte sich um Fotos, die geladen wurden.
    Zwei Großaufnahmen von Camille und Jeremy, gefesselt und geknebelt.
    Dann eine weitere Nachricht:
    Wollen Sie Ihre Kinder lebendig wiedersehen?
    Sie tauschten schockiert einen Blick. Noch ehe sie eine Antwort schreiben konnten, traf eine weitere SMS ein:
    Ja oder nein?
    Nikki griff nach dem Handy und schrieb:
    Ja.
    Das virtuelle Gespräch ging weiter.
    Dann also Treffpunkt um 3 Uhr heute Nacht am Handelshafen von Manaus – Pfahlbautendorf.
Bringen Sie die Karte mit. Und kommen Sie allein.
Kein Wort zu irgendjemandem. Sonst …
    »Die Karte? Welche Karte? Was soll das heißen?«, rief Sebastian.
    Nikki tippte hastig:
    Welche Karte?
    Die Antwort ließ auf sich warten. Lange. Zu lange. Vor Angst wie gelähmt, saßen Nikki und Sebastian in dem irrealen Licht, welches das Zimmer erfüllte. Draußen wurde es langsam dunkel. Himmel, Strand und Häuser verschwammen in einer Sinfonie von Farben, die alle Töne von Blassrosa bis Karmesinrot durchlief.
    Welche Karte meinen Sie?
    Die Sekunden zogen sich in die Länge. Mit angehaltenem Atem warteten sie auf die Antwort, die nicht kam. Plötzlich klang Lärm vom Strand herauf. Wie jeden Abend applaudierten Touristen und Cariocas frenetisch, während die Sonne hinter den »zwei Brüdern« versank. Ein spezieller Brauch, um dem Feuergestirn für den schönen Tag zu danken. Verzweifelt versuchte Sebastian, die Nummer anzurufen, doch niemand nahm das Gespräch an. Offensichtlich hätten sie etwas wissen müssen, was ihnen aber Rätsel aufgab. Sie überlegten laut: »Aber was meinen die bloß? Einen Chip? Eine Kreditkarte? Eine geografische Karte? Eine Postkarte?«
    Nikki hatte schon auf dem Bett die Brasilienkarte auseinandergefaltet, die das Hotel seinen Gästen zur Verfügung stellte.
    Mit einem Filzstift markierte sie die Stelle, an der die Entführer sie treffen wollten. Manaus war die größte Stadt Amazoniens, mitten im bedeutendsten Urwald der Welt gelegen und dreitausend Kilometer von Rio entfernt.
    Sebastian sah auf die Wanduhr. Es war schon fast acht Uhr abends. Wie sollten sie um drei Uhr morgens in Manaus sein?
    Dennoch rief er die Rezeption an und erkundigte sich nach den Flugzeiten zwischen Rio und der amazonischen Hauptstadt.
    Nach einer Weile erklärte der Portier, die nächste Maschine gehe um zweiundzwanzig Uhr achtunddreißig.
    Ohne zu zögern, reservierten sie zwei Tickets und bestellten ein Taxi zum Flughafen.

Kapitel 59
    »Boa noite
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