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Sie

Titel: Sie
Autoren: Stephen King
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Augen... dann leuchtete Erkennen in ihnen auf, und er spürte, wie Freude seine Seele durchströmte.

    "Wo bin ich?", fragte sie, gähnte und streckte sich. "Ian -- Geoffrey -- sind wir auf See? Warum bin ich so hungrig?"
    Lachend und weinend, beugte Ian sich über sie und nannte wieder und immer wieder ihren Namen.
    Verwirrt, aber erfreut, erwiderte sie seine Umarmung -- und da er nun wusste, dass sie lebte und wieder gesund war, stellte Geoffrey fest, dass er ihre Liebe ertragen konnte, jetzt und für immerdar. Er würde allein leben, konnte allein leben, und das in völligem Frieden.
    Vielleicht waren die Götter doch nicht wahnsinnig -- zumindest nicht alle.
    Er berührte Hezekiah an der Schulter. "Ich denke, wir sollten sie allein lassen, alter Knabe, du nicht auch?"
    "Ich denke, das richtig, Mist’ Boss Geoffrey", sagte Hezekiah. Er grinste breit und ließ sämtliche seiner sieben Goldzähne blitzen.
    Geoffrey warf einen letzten Blick auf sie, und nur für einen Moment sahen diese kornblumenblauen Augen in seine Richtung, wärmten ihn, füllten ihn aus. Erfüllten ihn.
    Ich liebe dich, mein Schatz , dachte er. Hörst du mich?
    Vielleicht war die Antwort, die er bekam, nur der sehnsüchtige Ruf seines eigenen Verstandes, aber das glaubte er nicht -- es war zu klar, zu deutlich ihre eigene Stimme.
    Ich höre dich... und ich liebe dich auch .

    Geoffrey schloss die Tür und ging hinauf aufs Achterdeck. Anstatt sich über die Reling zu stürzen, wie er es vorgehabt hatte, zündete er sich eine Pfeife an, rauchte langsam den Tabak und sah zu, wie die Sonne hinter dieser fernen, am Horizont verschwindenden Wolke unterging -- der Wolke, die die Küste von Afrika war.
     
    Dann zog Paul Sheldon, weil er nicht anders konnte, die letzte Seite aus der Schreibmaschine und kritzelte mit Bleistift das geliebteste und verhassteste Wort im Vokabular eines Schriftstellers:
     
    ENDE

40
    Seine geschwollene rechte Hand hatte die Buchstaben nicht nachtragen wollen, aber er hatte sie dennoch zur Arbeit gezwungen. Wenn es ihm nicht gelang, wenigstens einen Teil der Steifheit zu vertreiben, dann würde er seinen Plan nicht ausführen können.
    Als er fertig war, legte er den Bleistift beiseite. Er betrachtete sein Werk einen Augenblick. Er fühlte sich wie immer, wenn er ein Buch vollendet hatte - seltsam leer, enttäuscht, sich bewusst, dass er für jeden kleinen Erfolg seinen Tribut an Absurditäten bezahlt hatte.
    Es war immer dasselbe, immer dasselbe - als würde man sich bergauf durch einen dichten Dschungel quälen und
nach Monaten der Torturen oben auf eine Lichtung stürzen, nur um zur Belohnung nichts weiter vorzufinden als eine Schnellstraße - mit ein paar Tankstellen und Bowlingbahnen, die für gutes Verhalten oder so etwas dort als Zugabe verteilt waren.
    Aber es war gut, fertig zu sein - es war immer gut, fertig zu sein. Gut, etwas hervorgebracht, ein Ding ins Sein befördert zu haben. Auf eine taube Art und Weise begriff und bewunderte er die Tapferkeit dieser Tat, kleine Leben zu erschaffen, die es nicht gab, den Anschein von Bewegung und die Illusion von Wärme zu erzeugen. Er verstand - jetzt endlich -, dass er nicht unbedingt ein Meister dieses Tricks war, aber es war der einzige, den er beherrschte, und selbst wenn es letztlich immer unzureichend war, so tat er es doch stets mit Liebe. Er berührte den Manuskriptstapel und lächelte ein wenig.
    Seine Hand ließ den gewaltigen Papierstapel los und stahl sich zu der Marlboro, die sie für ihn auf das Fenstersims gelegt hatte. Daneben stand ein Keramikaschenbecher, auf dessen Boden ein Schaufelraddampfer aufgedruckt war, eingefasst von den Worten: SOUVENIR AUS HANNI-BAL, MISSOURI - HEIMAT VON AMERIKAS GESCHICHTENERZÄHLER!
    Im Aschenbecher lag ein Streichholzbriefchen, aber es enthielt nur ein einziges Streichholz - mehr hatte sie ihm nicht gegeben. Doch eines sollte genügen.
    Er konnte hören, wie sie oben umherging. Das war gut. Er hatte genügend Zeit, seine wenigen Vorbereitungen zu treffen, und wurde rechtzeitig gewarnt, sollte sie beschließen herunterzukommen, bevor er bereit für sie war.

    Jetzt kommt der echte Trick, Annie. Mal sehen, ob er mir gelingt. Was meinst du - kann ich?
    Er beugte sich nach unten, ohne auf die Schmerzen in seinen Beinen zu achten, und begann, den losen Teil der Scheuerleiste mit den Fingern herauszuziehen.

41
    Fünf Minuten später rief er nach ihr und hörte ihre schweren, irgendwie tonlosen Schritte auf der Treppe. Er hatte
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