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Sie kamen bis Konstantinopel

Sie kamen bis Konstantinopel

Titel: Sie kamen bis Konstantinopel
Autoren: Frank S Becker
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die seine.
    ***
    Die nächsten Wochen vergingen im ewig gleichförmigen Rhythmus des Klosterlebens, doch mit Kilian war eine Veränderung vor sich gegangen. Er wirkte oft geistesabwesend, schrak auf, wenn ihn Padraich ansprach und schien erst wieder aus einer fernen Welt zurückkehren zu müssen. Mit dem Buch, das allmählich aus Bruder Grellans Bericht entstand, hatten die beiden zu ihrem geheimen Kummer nichts mehr zu tun. Stattdessen wurden sie zusammen mit Memilian, einem schweigsamen fränkischen Novizen, dazu eingeteilt, in der Landwirtschaft zu helfen und Meeralgen für die Düngung der neuen, von Mäuerchen eingefassten Felder heranzuschaffen, die andere Mönche bereits angelegt hatten. So schoben sie jeden Morgen ihren kleinen, zweirädrigen Karren aus dem Klostertor hinaus und ließen ihn den Weg zum Meer hinunterrumpeln. Das Aufsammeln der grünen Algenstränge war eine langwierige Arbeit, bei der die Jungen oft stundenlang über den Strand laufen mussten, bis der Karren voll beladen war. Hatten sie ihn schließlich den steilen, von Frühjahrsregenfällen ausgewaschenen Weg wieder hinaufgestemmt, waren ihre Hände zerschrammt. Dann langten sie bei den Feldern an, auf deren sandigen Böden sie noch die grüne Last verteilen mussten, bevor sie endlich in das Kloster zurückkehren durften. Nach einigen Jahren, wenn die Algen verfault waren, würde sich ein fruchtbarer Boden bilden, auf dem Korn gesät oder Gemüse gepflanzt werden konnte.
    Eines Tages waren sie weiter den Strand entlanggelaufen als je zuvor. Die Sonne brannte herab, und das seit Tagen ruhige Meer hatte kaum Algen angeschwemmt. Ihre Hände schmerzten vom Schieben des Karrens, denn heute waren sie nur zu zweit, da Memilian im Klostergarten aushelfen musste. Dennoch durften sie nicht aufgeben, durften nicht umkehren, bevor sie nicht einen grünbraunen Berg auf die Ladefläche gehäuft hatten. Kilian wischte sich den Schweiß von der Stirne. Sein Umhang wölbte sich im Wind, der vom Land hinaus aufs Meer wehte. Über dem Wasser segelten weiße Basstölpel, die blitzschnell im Sturzflug hinabtauchten, um sich gleich darauf mit einem zappelnden Fisch im Schnabel in die Lüfte zu schwingen.
    »Lass uns einen Augenblick rasten«, sagte er zu Padraich, der stumm nickte. Sie ließen sich auf den mit Muscheln vermischten Sand fallen. Kilian nahm ein Stück Treibholz, drehte es verdrossen zwischen den Fingern und ließ seine Augen übers Meer schweifen. Plötzlich merkte er auf und zeigte auf eine von grünen Algen überzogene Felsenklippe, die in der Mitte der Bucht aus dem Wasser ragte.
    »Dahin müssten wir kommen, da ist alles voller Tang.«
    Padraich nickte. »Dort hätten wir in einer Stunde mehr gesammelt als hier mit einem Tag Schinderei.«
    Kilian holte aus und schleuderte das Holz ins Meer. »Wenn Gott uns ein Boot geben würde …«
    »… dann könnten wir nicht damit umgehen, also lass das Träumen.«
    »Ich kann das! Ich liebe Boote! Bevor ich ins Kloster kam, bin ich oft mit meinem großen Bruder gesegelt«, entgegnete Kilian selbstbewusst.
    Padraich schwieg eine Weile, dann sah er seinem Freund in die Augen. »Wolltest du ins Kloster?«, fragte er unvermittelt.
    »Natürlich, und das will ich immer noch. Obwohl mir manchmal etwas weniger Arbeit auch reichen würde. Wolltest du etwa nicht?«
    »Ursprünglich nein, wenn ich ehrlich bin. Aber wir waren sehr arm, und nach dem Tod meines Vaters beschloss meine Mutter, dass ich ins Kloster gehen sollte.«
    »Wieso gerade du, ihr wart doch mehrere Geschwister?«
    »Ja, aber ich war es, der …« Padraich verstummte.
    »Der was?«, bohrte Kilian.
    »Ach, nichts, ich möchte nicht darüber sprechen«, entgegnete Padraich abweisend und erhob sich rasch. »Lass uns weitergehen, vielleicht finden wir mehr jenseits der Landzunge dort.«
    Als sie eine Viertelstunde später die mit Gebüsch bedeckte Anhöhe erklommen hatten und die nächste Bucht vor ihnen lag, packte Kilian aufgeregt den Arm seines Freundes.
    »Da vorne, siehst du?«
    Padraich rieb sich gerade das linke Auge, in das eine Mücke geflogen war, und versuchte vergeblich, durch die Tränen etwas zu erkennen. »Was ist da?«
    »Ein Boot! Gott hat uns erhört, da liegt ein Boot!«
    Die Jungen rannten durch die Büsche hinab, die Hände vor den Augen, um sie gegen die peitschenden Zweige zu schützen. Einige Hundert Schritte vor ihnen lag ein Curragh am Strand, leicht zur Seite geneigt, so dass der Mast schräg in den Himmel ragte. Ein
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