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Sekunde der Wahrheit

Titel: Sekunde der Wahrheit
Autoren: Hayes Joseph
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mit dem kurzen weißen Bart auf. Er lächelte nicht, und er grüßte auch nicht. »Der Kleine hat ein wenig Muskelkater von heute morgen. Wenn der nur rennen kann, dann ist er zufrieden.«
    Als der ältere Pferdepfleger mit steifem Kreuz aus der Box trat, stellte sich Clay neben den Dreijährigen und streichelte seinen Hals. Das Pferd schnaubte ihn spielerisch an. Clay war wieder zu Hause. In jüngeren Jahren war er bereits schon einmal in Churchill Downs gewesen, obgleich er sich nicht richtig daran erinnern konnte. Doch alle Stallungen der Rennbahnen glichen sich mehr oder weniger. Aber wo Hotspur war, da fühlte er sich zu Hause. Elijah stakste mit ernster Miene fort zu irgendeiner Besorgung, einen Eimer in der Hand. Da ertönte hinter Clay eine andere Stimme, spöttisch und rau.
    »Na, wen haben wir denn da endlich? Zwei Tage vor dem Derby-Trial.« Als Clay sich herumdrehte, schob Bernard J. Golden den Schirm der Baseballkappe zurück. Sein pausbäckiges Gesicht strahlte. »Tut mir leid, wenn ich diese Liebesszene unterbreche, aber wo ist denn der weiße MG geblieben? Und auf welchem Schrottplatz hast du den Lieferwagen aufgetrieben?«
    Sein Hilfstrainer amüsierte ihn wie stets, aber Clay ließ sich nichts anmerken. Statt dessen wandte er sich an den kleinen Mann mit dem faltigen Gesicht, der mit Bernie gekommen war. »Du bist früh dran, Zach. Keine Rennen mehr in Belmont?«
    Es zuckte in dem wettergegerbten Gesicht. »Bin heute früh hergeflogen. Du kannst deine Bereiter, weiblich wie männlich, feuern. Ich arbeite mit Hotspur die ganze Woche, und mein Agent kriegt 25 Prozent von Null – er kann ja singen gehen.« Er sprach in einem heiseren Flüstern um eine schwarze Zigarre herum. »Ich wittere Morgenluft, Clay. Hotspur hat heute die halbe Meile in 46,8 geschafft und den Kilometer in 1:01.«
    Bernie watschelte brummend näher. »Ja, sieht so aus, als würde er wirklich ein Renner. Bis jetzt war er mir etwas zu behäbig.«
    »Na, du mußt gerade reden«, meinte Clay, und Zach lachte grunzend.
    Bernie rieb sich den Magen unter dem schmutzigen T-Shirt. »Hast du Hunger? Zach und ich wollten gerade in die Kantine Tee trinken.«
    »Tee doch nicht«, erwiderte Clay. »Ist die Infektion abgeklungen?«
    »Dr. Hartwell sagt, sie ist weg.« Und mit einem Kopfschütteln fügte er hinzu: »Ist dir klar, daß heute Sonntag ist und übermorgen das Trial-Rennen?«
    Wie immer rief Bernies immerwährende Besorgtheit und Skepsis in ihrem jungenhaften Überschwung in Clay ein Gefühl kameradschaftlicher Gemeinsamkeit hervor. Als sie sich vor vier Jahren kennen gelernt hatten, waren sie beide sehr deprimiert. Es war in Thistledown bei Cleveland, und es goß wie aus Kübeln. Sie hatten sich fast verprügelt, weil sich Clay keinen Drink aufdrängen lassen und sich sogar schon gar nicht mit dem Fettwanst schlagen wollte.
    »Du kannst ja schon mal beten«, meinte Clay.
    »Mein Draht zu Gott ist nicht besonders seit meinem Bar-Mizwa.« Dann legte er den Kopf auf die Seite und spähte zum Himmel hinauf. »Klar und sonnig lautet die Vorhersage, vereinzelt sind Schauer möglich. Sollte es morgen abend nicht regnen, dann kannst du das Trial vergessen.« Dann wurde er plötzlich ernst und sagte fast flehend: »Clay, streich das Trial. Es ist doch für Hotspur nicht nötig, am Dienstag zu starten, um zum Derby am Sonnabend zugelassen zu werden.«
    Am liebsten hätte Clay Bernie reinen Wein eingeschenkt, aber er hielt den Zeitpunkt für verfehlt. Warum sollte er Bernie und Zach beunruhigen und ihnen klarmachen, daß er weder das Geld für die Nennung, noch die Startgebühr für das Derby aufbringen konnte, falls Hotspur nicht wenigstens beim Trial auf den Plätzen einlief. Er schaute zum Himmel. »Den Seinen gibt's der Herr im Schlaf.«
    »Clay«, redete Bernie beschwörend auf ihn ein, »niemand weiß, wie du dich verrenkt hast, um hierher zu kommen, aber ich habe immer das Gefühl gehabt, es steckt mehr dahinter, als du zugegeben hast. Und das jagt mir Angst ein, echt. Du hast immer deine Wunden geleckt, und ich will nicht erleben, daß jemand oder etwas die ganzen Narben wieder aufreißt.«
    Clay traute seinen Ohren nicht. Eine so lange Rede hatte Bernie noch nie gehalten, und soviel Verständnis hatte er ihm nicht zugetraut. Aus den Augenwinkeln nahm er Zachs Verblüffung wahr, und eine warme Rührung stieg in ihm auf. »Sollte wieder etwas aufgerissen werden, dann werde ich das tun. So leicht kann mir keiner.«
    Bernies rundes
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