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Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)

Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)

Titel: Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)
Autoren: Ben Aaronovitch
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die Todesursache?«
    »Herzversagen. Ich habe Hinweise auf eine dilatative Kardiomyopathie gefunden   – das bedeutet, das Herz vergrößert sich und kann nicht mehr richtig arbeiten   –, aber was ihm gestern Nacht den Rest gegeben hat, war meiner Meinung nach ein akuter Myokardinfarkt.«
    Auch diesen Begriff kannte ich aus dem Was-macht-man-wenn-ein-Verdächtiger-beim-Verhör-umkippt-Kursan der Polizeischule in Hendon. Man kann es auch einfach Herzanfall nennen.
    »Natürliche Ursache?«
    »Oberflächlich betrachtet, ja. Aber eigentlich war er nicht krank genug, um einfach so tot umzufallen. Wobei ich zugeben muss, dass erstaunlich viele Leute einfach so tot umfallen.«
    »Und woher wissen Sie dann, dass er was für uns ist?«
    Dr.   Walid tätschelte dem Toten die Schulter und zwinkerte mir zu. »Dazu müssen Sie schon näher herangehen.«
    Ich finde es nicht gerade berauschend, Leichen nahe zu kommen, nicht einmal so harmlosen wie Cyrus Wilkinson, daher bat ich Dr.   Walid um Mundschutz und Schutzbrille. Nachdem jedes Risiko einer versehentlichen Berührung des Leichnams beseitigt war, beugte ich mich vorsichtig hinunter, bis mein Gesicht dicht über dem seinen war.
    Vestigium
nennt man den Abdruck, den Magie auf Gegenständen hinterlässt. Es ist mit einem Sinneseindruck vergleichbar, ungefähr wie die Erinnerung an einen längst vergangenen Geruch oder ein Geräusch. Auch Sie spüren es wahrscheinlich hundertmal am Tag, aber man kann es leicht mit Erinnerungen oder Tagträumen verwechseln oder sogar Gerüchen, die man gerade riecht, und Geräuschen, die man hört. Manche Materialien, zum Beispiel Steine, saugen alles auf, was um sie herum passiert, selbst wenn es kaum magisch ist   – daher haben alte Häuser ihren Charakter. Andere Materialien, zum Beispiel der menschliche Körper, bewahren
Vestigia
furchtbar schlecht   – um auf einer Leiche einen Eindruck zu hinterlassen, braucht es schon das magische Äquivalent einer Handgranate.
    Kein Wunder also, dass ich etwas überrascht war, als ich Cyrus Wilkinsons Körper ein Saxofonsolo spielen hörte. Die Melodie wehte aus einer Zeit an mich heran, als die Radios noch aus Bakelit und mundgeblasenem Glas bestanden, und wurde begleitet von einem Geruch nach zersägtem Holz und Zementstaub. Ich verharrte so lange, bis ich sicher war, das Stück erkannt zu haben, dann trat ich zurück.
    »Wie haben Sie das festgestellt?«
    »Ich überprüfe alle plötzlichen Todesfälle auf Magie«, gab Dr.   Walid zurück. »Nur für alle Fälle. Ich fand, es klang wie Jazz.«
    »Kennen Sie das Stück?«
    »Natürlich nicht. Ich halte es ausschließlich mit Prog-Rock und den Romantikern des 19.   Jahrhunderts. Sie?«
    »Das ist
Body and Soul
«, sagte ich. »Ein Stück aus den Dreißigern.«
    »Wer hat es gespielt?«
    »So ziemlich jeder. Es ist einer der großen Jazzklassiker.«
    »An Jazz kann man nicht sterben«, sagte Dr.   Walid. »Oder?«
    Ich dachte an Fats Navarro, Billie Holiday und Charlie Parker, der nach seinem Tod von einem Gerichtsmediziner doppelt so alt geschätzt wurde, wie er war.
    »Wissen Sie«, sagte ich, »ich glaube, Sie werden feststellen, dass man’s kann.«
    Bei meinem Vater hatte der Jazz sich auch alle Mühe gegeben.
     
    Um ein solches
Vestigium
auf einer Leiche zu hinterlassen, brauchte es schon eine ordentliche Dosis Magie. Dasbedeutete, entweder hatte jemand Cyrus Wilkinson etwas Magisches angetan, oder er selbst hatte Magie angewendet. Nightingale zufolge waren im Domizil von Magie Praktizierenden, selbst bei Dilettanten, immer Spuren ihrer Tätigkeit zu finden. Also fuhr ich über die Themse zu der Adresse auf Mr.   Wilkinsons Führerschein, um nachzuprüfen, ob es dort Spuren von Magie, einem Verbrechen oder Jazz gab.
    Es war ein zweistöckiges edwardianisches Reihenhaus auf der besseren Seite der Tooting Bec Road. Die Gegend war fest in V W-Golf -Hand mit ein paar Audis und einem BMW dazwischen, um das Gesamtbild ein bisschen aufzupeppen. Ich parkte im Parkverbot und ging die Straße hoch. Dabei fiel mir ein neonoranger Honda Civic auf   – nicht weil er diesen armseligen 1, 4-Liter -VTE C-Motor hatte, sondern weil darin eine Frau saß und das Haus beobachtete. Ich merkte mir das Kennzeichen, öffnete das gusseiserne Gartentor, ging durch den kleinen Vorgarten und klingelte. Einen Augenblick lang roch ich wieder zersplittertes Holz und Zementstaub, aber dann öffnete sich die Tür, und ich verlor jegliches Interesse an anderen
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