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Schutzkleidung is nich!: Unter Bauarbeitern (German Edition)

Schutzkleidung is nich!: Unter Bauarbeitern (German Edition)

Titel: Schutzkleidung is nich!: Unter Bauarbeitern (German Edition)
Autoren: Nicholas Grünke
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sagen … äh … ich mach’s. Also das mit der Baustelle. Ich mach’s. Also ich schaue es mir mal an.»
    «Baustelle? Ach so, der Job, ja klar. Na, super. Dann sag ich dem Peter Bescheid.»
    «Hoffentlich super?»
    «Ja, das wird schon. Wie gesagt, ist doch kurzfristig ganz gutes Geld. Ich meld mich dann noch mal und sag dir, wann du anfangen kannst.»
    «Alles klar, nochmals danke. Und guten Rutsch!»
    Ich lege auf und versinke sofort in Gedanken. Erst als die vier mächtigen Schornsteine der VW -Werke in den graublauen Himmel emporstechen, wird mir bewusst, was ich da gerade zugesagt habe. Ich werde also im klirrend kalten Januar als Bauarbeiter in Berlin arbeiten. Wer hätte das für möglich gehalten? Ich habe keine Ahnung, was mich erwartet, und die Vorstellung ist in diesem Moment auch zu erdrückend. Zum Glück kommt Tim aus dem Speisewagen und drückt mir ein wohltemperiertes Bier in die Hand.
    «Cheers, Nicholas! Auf die letzten Tage in diesem Jahr!»
    «Cheers, auf dass alles besser wird im nächsten.»
    Doch während ich das sage, weht mir plötzlich ein eiskalter Wind ins Gesicht, und ich sehe im Geiste die halb erfrorenen Arbeiter von der Warschauer Straße mit ihren Zementsäcken.
    Gegenüber hat jemand das Fenster geöffnet.

Kapitel  2 «Fliegenschmidt Globalklo»
    Drei Tage später. Es ist Anfang Januar. Ein schriller Ton reißt mich unsanft aus dem Schlaf. Die digitalen Ziffern meines Weckers spucken mir eine Fünf und zwei Nullen ins Gesicht. Es ist pechschwarze Nacht, und das Thermometer zeigt minus 16  Grad. Silvester steckt mir immer noch in den Knochen. Ich fühle mich wie in einem Albtraum.
    Lautes Schnarchen dringt aus dem Zimmer meines Bruders, der über Silvester Gäste nach Berlin eingeladen hat. Ich schleiche durch den Flur. Auf dem Weg ins Badezimmer drehe ich die Heizung in der Küche voll auf, damit es gleich warm ist.
    Nach einer Tasse Kaffee und einer Scheibe Toast bin ich endlich ein bisschen wacher. Ist ja nur für kurze Zeit, denke ich und glaube tatsächlich daran, dass ich diesen Job nur für ein paar Wochen machen werde. Eben bis mein Konto wieder ausgeglichen ist oder, wie Frau Lemming es ausdrückte, bis ich endlich wieder
fairplay
spiele.
    Arbeitskleidung? Habe ich natürlich nicht. Nur ein paar alte Klamotten, die ich unten im Schrank gefunden habe. Vielleicht hilft meine alte Skiunterwäsche. Ich ziehe Lage für Lage Kleidung übereinander, schlüpfe in meine Lederstiefel, nehme Skimütze und -handschuhe aus der Kommode und verlasse die Wohnung. Die Kälte der vergangenen Wochen war schon brachial, aber dieser Morgen übertrifft alles. Und Berlin dröhnt mal wieder mit düsterer Tristesse.
    Die Straßenränder sind gepflastert mit explodierten Böllern, die den Schneematsch rötlich färben. Ein Teppich aus zerbrochenem Glas knirscht unter meinen Stiefeln. Das klassische Überbleibsel eines Jahreswechsels.
    Als ich über die Oberbaumbrücke zur S-Bahn-Station laufe, schneidet mir eisiger Wind ins Gesicht. Nicht weit entfernt prangt in riesigen Buchstaben über mehrere Dächer ein Graffito:
Deutschland verrecke
. Ich ahne, dass dieser Tag nichts Gutes bringen wird.
    Wenigstens kann ich mich in der Bahn kurz aufwärmen. Erstaunlich, wie viele Menschen um diese Zeit bereits auf den Beinen sind. Dabei scheinen zwei Berliner Bevölkerungsgruppen miteinander zu verschmelzen: Hier die berauschten Clubgänger auf dem Weg ins Bett, dort die Angestellten und Arbeiter, auf die Büro und Stechuhr warten. In diesen Minuten sitzen sie sich gegenüber. Und zum ersten Mal habe ich die Seiten gewechselt.
    Wirklich wach ist hier niemand. Die Blicke gehen starr aus dem Fenster oder auf den Boden. Niemand spricht. Was mache ich eigentlich hier?
    Ich passiere das Ostkreuz. Der Bahnhof ist eine Großbaustelle. Erst 2016 sollen die Bauarbeiten beendet sein. Warum man nach der Wende nicht sofort das Ostkreuz umgebaut hat, anstatt den Ostbahnhof immer weiter zu modernisieren, ist mir ein Rätsel.
    Ich fahre am «Darth Vader» vorbei, wie die Berliner den alten Wasserturm am Ostkreuz nennen. Er ist jetzt durch den neuen gigantischen Bahnhof aus Glas und Stahl traurig in der Ecke eingequetscht und wird von den neuen Gleisen fast tangiert. Nach einer gefühlten Stunde muss ich raus und folge an vereisten Autos vorbei den Schienen und biege dann links ins Nirgendwo ab. Am Ende der Straße ist der alte Speicher erkennbar. Der Ostwind ist auf der offenen Fläche noch beißender und brennt
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