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Schoene Bescherung

Schoene Bescherung

Titel: Schoene Bescherung
Autoren: Sobo Swobodnik
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Erniedrigendes. Als wollten die Zwei-, Drei-, Viertausender sagen: Na, du kleines Würstchen, gegenüber uns bist du nichts, ein Niemand, eine kugelrunde, aufgeblasene Null. Das Schlimmste: Plotek wusste, sie hatten Recht, die Zwei-, Drei-, Viertausender. Ein Blick reichte und Plotek war sich seiner jämmerlichen Existenz in voller Deutlichkeit bewusst. In Anbetracht dieser Giganten war er nicht nur eine kugelrunde Null, er fühlte sich auch so.
    Die Berge kombiniert mit Weihnachten oder Weihnachten in den Bergen war für Plotek völlig ausgeschlossen. So viel guten Willen gibt es gar nicht. Was machte man in den Bergen? Was konnte man machen? Nichts. Außer vielleicht wandern. Und Plotek lehnte jegliche Form unnötiger Bewegung ab. Wandern ist unnötige Bewegung. Genauso wie Joggen, Badminton, Tennis, Rad fahren, Schwimmen und alles. Alles, womit man in diesem Fitnesswahn-Zeitalter terrorisiert wird. Da ist Plotek einfach ein wenig konservativ. »Du bist nicht konservativ, du bist reaktionär«, sagte Agnes diesbezüglich immer, wenn sie aufgebracht war. Plotek dachte dann: Meinetwegen, wenn es hilft gegen das Wandern, Badminton und die Berge. Vor allem gegen die Berge. Weil, die Berge begrenzen. Nicht nur den Blick. Auch die Gedanken. Die ganze Existenz. Der Blick kracht an Felswände, Augen stoßen sich wund und die Gedanken kriegen lauter Beulen. Wer das will – gut, selber schuld. Ich nicht, dachte Plotek. Auch selber schuld. Plotek kann nicht nur nicht die Berge, er kann auch den Schnee nicht ausstehen. Den Schnee ganz besonders nicht – wegen der Kindheit. Schnee gab es in seiner Kindheit zuhauf. Meterhohe Haufen – und blaue Flecken von den Schneeballschlachten. Die Zielscheibe war immer Plotek. Für Plotek ist alles unerträglich, was nur im Entferntesten mit Kindheit zu tun hat: Landwirtschaft, Gottesdienste, Grillabende, Kaninchen, Hunde, Katzen, Misthaufen, Sonntagsnachmittagsspaziergänge, Messgewänder, Ostern, Weihnachten, Allerheiligen, Schweine, Brüder, Mütter, Väter, Kinder und Makrameegondeln. Und Schnee. Da bleibt nicht mehr viel übrig für Plotek, könnte man denken. Falsch gedacht, allerhand: schöne Frauen, schnelle Autos, teure Uhren, süßes Konfekt, Mozartkugeln, Sachertorten, Fußball (aber nur der SC Freiburg), Cesar Louis Menotti, Unertl-Weißbier , Kaiserschmarrn und Schweinsbraten mit Semmelknödelgröstetem. Apropos: Bei dem Gedanken daran ist Plotek das erste Mal seit Tagen wieder das Wasser im Mund zusammengelaufen – für Sekunden – , dann musste er sich schon wieder übergeben. Auf dem Boden ist er wie ein Hund auf die Toilette gerobbt und ziemlich lange dort geblieben.
    Als er wieder zurück war, ging es ihm immer noch nicht gut, aber doch ein wenig besser. Er hat aus dem Fernseher wieder die Welt in seine Stube gelockt. Na ja, Welt. Zuerst Kochsendung – bis es Plotek wieder schlecht war. Dann Teleshopping. Da haben sie eine Saftpresse verhökert, die schneller den Saft pressen kann als der Moderator trinken. Das war ein Spaß – nicht für Plotek. Er ist kurzzeitig eingeschlafen. Dann wieder aufgewacht und dann war Gary Cooper auf dem Bildschirm.
    »Dies ist eine gottverlassene, dreckige Stadt. Nichts, was hier passiert, hat wirklich Bedeutung. Verschwinde also von hier.« ›High Noon.‹
    Es klingelte.
    Das erste Mal seit einer Woche stand Plotek auf und öffnete die Tür. Aber nicht Agnes stand lächelnd im Türrahmen, sondern der Busfahrer Ferdinand Schnabel, breitbeinig wie der Schwerverbrecher Frank Miller.
    »Gehen wir?«
    Plotek guckte jetzt wie Gary Cooper, als er den Sheriff-Stern am Ende in den Dreck wirft und weiß, frei nach irgendeinem Philosophen, dass das Unglück des Menschen darin besteht, nicht im Bett liegen bleiben zu können. Also griff er nach seiner traumatisierten Cordjacke. »Gehen wir!«

3
    »Liebe Reisende, liebe Gäste des Busunternehmens Schnabel, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Buchung und dem Entschluss, sich eine Woche lang verwöhnen zu lassen, und begrüße Sie recht herzlich auf unserer Wellness-Erlebnisreise ins wunderschöne Karlsbad. Mein Name ist Ferdinand Schnabel – Schnabel wie der Mund. Für Sie fährt hier, worauf Sie sich verlassen können, noch der Chef persönlich. Ich heiße Sie an Bord unseres Luxus-Reisebusses herzlich willkommen.«
    Schnabel sprach in ein kleines Mikrofon, das an einem langen Kabel hing. Dabei sah er ständig in den Rückspiegel, so dass die Busreisenden nicht nur die säuselnden Schnabel-Worte, die
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