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Schlüsselfertig: Roman (German Edition)

Schlüsselfertig: Roman (German Edition)

Titel: Schlüsselfertig: Roman (German Edition)
Autoren: Kirsten Rick
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Blutvergiftung geholt habe. Da mussten sie in der Klinik über eine halbe Stunde daran herumschrubben.« Er schien stolz darauf zu sein.
    Die dicke Frau wollte tatsächlich zu uns. Kurzatmig keuchend nickte sie freundlich in die kleine Runde und stellte sich mir gegenüber ans offene Grab. Sie kam mir vage bekannt vor, aber ältere Damen sehen sich alle in gewisser Weise ähnlich. Sie atmete immer noch heftig, zog dezent ein Leinentaschentuch aus der Manteltasche und wischte sich damit über Stirn und Oberlippe. Der schwarze, wadenlange Mantel und der breitkrempige Hut schienen nicht allzu neu zu sein. Die ramponierte Hahnenfeder nickte im böigen Wind wie eine Wetterfahne. Ich musste lächeln, und die Frau lächelte überraschend herzlich zurück. Ihr Lächeln wärmte wie das Goldorange der üppigen Chrysanthemenkugeln, die mir in den letzten Wochen so oft die Sonne hatten ersetzen müssen. Neugierig versuchte ich sie einzuschätzen. Eine alte Freundin meiner Mutter? Kam sie mir deswegen bekannt vor? Oder nur eine Angestellte des Bestattungsunternehmens, die ihren Chef abholen wollte?
    Der Pfarrer schien zu spüren, dass der Neuankömmling die Kontinuität durchbrochen hatte und die Aufmerksamkeit auf sich zog, und kam zum Ende.
    Mit vor Kälte steifen Fingern griff ich nach der Schaufel, die der Bestatter mir auffordernd hinhielt, und ließ Sand aus dem bereitgestellten Behälter auf den Sarg rieseln. Offenbar hatten sie ihn nicht gesiebt, denn ich hörte deutlich kleine Steine dumpf auf dem Holz aufprallen. Es klang hohl, als sei er leer. Der Orchideenzweig, den ich hinterherwarf, segelte lautlos, drehte sich um die eigene Achse und kam direkt unterhalb des Gestecks auf. Die porzellanweißen Blüten schimmerten vor dem dunklen Hintergrund lebendig und geheimnisvoll. Vielleicht hatte Mutter meine Orchideen so verabscheut, weil sie perfekt und lebendig wirkten.
    Die Chrysanthemenfrau hatte einen kleinen Handstrauß aus weißen Nelken und Buchs mitgebracht. Sie ließ die üblichen drei Schaufeln auf Mutters Sarg fallen, warf den kleinen Strauß hinterher und neigte kurz den Kopf. Ohne sich weiter aufzuhalten, drehte sie sich dann zu mir um, streckte mir beide Hände entgegen und sagte freundlich: »Du musst Verena sein. Vermutlich hast du keine Ahnung, wer ich bin? Ich bin deine Tante Hilde, Margarethes Kusine.«
    Automatisch ergriff ich die Hände – und wurde in eine überwältigend herzliche Umarmung gezogen. Die kleine Person war erstaunlich kräftig. Ich roch Haarspray und Schmorkraut, fühlte den kompakten Körper, die Wärme, die er ausstrahlte, und musste mich auf einmal zusammennehmen, um nicht in Tränen auszubrechen.
    »Ich wusste gar nicht, dass ich eine Tante habe«, stammelte ich unsicher. »Ich dachte immer, wir hätten keine Verwandten.«
    Tante Hilde runzelte die Stirn und schüttelte missbilligend den Kopf. »Es war nicht richtig von Margarethe, sich so zu isolieren. Aber ich will sie nicht an ihrem Grab kritisieren. Lass uns die Herren verabschieden, und dann werden wir uns in aller Ruhe beschnuppern. Kannst du mir ein Hotel empfehlen? Ich habe mein Gepäck noch im Taxi.«
    Halb betäubt hörte ich mich dem Pfarrer für seine Worte danken, schüttelte dem Zypressenmann die Hand, der leise murmelte, es sei gut, dass ich jetzt nicht alleine wäre, und fand mich Augenblicke später im Schlepptau von Tante Hilde den Hauptweg entlang zum Ausgang gezogen. Im Fond des Taxis, in dem sie ihre Frage nach einem anständigen Hotel erneuerte, fasste ich mich so weit, dass ich ihr versicherte, es sei ausreichend Platz in unserem Haus vorhanden, um sie unterbringen zu können.
    Ihr Koffer schien mit Blei ausgekleidet. In der Diele zögerte ich. »Macht es dir etwas aus, in Mutters Zimmer zu schlafen? Wir haben leider kein Gästezimmer …« Wozu auch? Wir hatten niemals Gäste in unserem Haus gehabt.
    Tante Hilde schnaubte leise durch die Nase und fand nichts dabei. »Schließlich haben wir als Kinder oft genug in einem Bett geschlafen.« Ihr kritischer Blick erfasste meine tauben Zehen, klammen Finger und die Kälte, die sich unter meinem alten Wintermantel eingenistet zu haben schien. »Ich komme schon zurecht, Kind. Sieh zu, dass du schleunigst warme Sachen anziehst. Es ist niemandem damit geholfen, wenn du jetzt krank wirst.« Mit diesen Worten scheuchte sie mich in mein Zimmer.
    Ich duschte so heiß, wie ich es ertrug, und als ich in Wollsocken und meinem wärmsten Pullover nach unten kam, hatte sie bereits
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