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Schattenlord 7 - Das blaue Mal

Titel: Schattenlord 7 - Das blaue Mal
Autoren: Michael Marcus Thurner
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ich eben sagte: alles zu seiner Zeit.« Der Kleine drehte sich um und watschelte ins Freie. Vorbei an Wächtern mit hellebardenähnlichen Waffen, die links und rechts des Ausgangs warteten. Die erst nun und wie von Geisterhand herbeigezaubert sichtbar wurden.
    »Lass den Zeremonienmeister nicht allzu lange warten«, flüsterte ihr Silbergesicht ins Ohr. »Er ist sehr einflussreich. Er kann dir dein Schicksal erleichtern - oder es deutlich erschweren.«
    »Welches Schicksal?«, fragte Zoe ebenso leise zurück, erstaunt über die plötzliche Beredtheit ihres Begleiters. »Könntest du mich endlich einmal aufklären ...«
    »Beweg dich!«, sagte der Silberne grob und stieß sie vorwärts, auf Baran zu. Dieser hatte sich gerade umgedreht und wartete auf sie.
    Zoe hatte Mühe, ihren Zorn zu unterdrücken, während sie vorwärtsstolperte. Seit Tagen wurde sie herumgeschubst, größten Plagen ausgesetzt, für geringste Vergehen bestraft und mitunter, was sie am meisten schmerzte, einfach ignoriert.
    Sie trat ins Freie. Sie hielt beide Hände vors Gesicht, um ihre Augen vor dem ungewohnt grellen Licht zu schützen, und drehte sich einmal im Kreis.
    Dies hier war falsch! Nichts stimmte mit dem überein, was sie erwartet, was sie von Dar Anuin und vom Palast bislang gesehen hatte.
    Hinter ihr war nackter Fels. Gneis oder Schiefer, der unbearbeitet wirkte und Teil einer natürlichen Felsformation war, die einen Teil der eigentlichen Stadt sichelförmig umgab.
    Alles, was sie bislang gesehen hatte, war Lug und Trug gewesen! Die Türme mit den zwiebelförmigen Häubchen, wuchtige Gebäude, das Grün ringsum, Bäume, Sträucher, äsende Tiere, Ruhe und Frieden - sie waren nur Teil einer gewaltigen Täuschung. Dies ist kein Potemkinsches Dorf, sondern eine Potemkinsche Stadt!, dachte Zoe.
    Nur der Gang hinter ihr war real. Er hatte quer durch das Felsmassiv in lichte Höhen geführt, von dem aus sie auf den Schutzwall rings um das eigentliche Dar Anuin hinüberblickte.
    Auf einen Vulkankegel, dessen schwarze Kraterwände steil anstiegen. Die Siedlung war in dessen Innerem verborgen!

    Zwischen ihr und dem Zugangstor war ... nichts. Ein Abgrund aus Nichts. Ein Spalt, tief und breit, als hätte ein zorniger Gott mit seiner Axt ins Gestein gehauen, um den Vulkankrater von jenem Fels zu trennen, der durch einen Großteil des abfließenden Magmas geformt worden war.
    »Man wartet im Palast Kariëm ungeduldig auf dich«, sagte Baran, der Zwerg. »Wenn du bitte vorangehen würdest?«
    Zoe tat einen Schritt zurück. Der Abgrund, vielleicht hundert Meter tief und etwa halb so breit, war Angst erregend. In der Tiefe drehten Vögel mit breiten Schwingen ihre Kreise, und am Talboden erstreckte sich das glitzernde Silber eines Flusses. Die Distanz zu Zoes nächstem Ziel, einem weiteren Tor, das ihr gegenüber in die Flanke des Vulkans gehauen worden war, schien unüberwindbar. Weit und breit war keine Brücke zu sehen, die sie nutzen konnte, um auf die andere Seite zu gelangen.
    Sie starrte hinüber. Vor dem prachtvoll intarsierten Tor warteten einfach gewandete Wesen. Elfen. Solche, deren Haarpracht unter Kapuzen verborgen war und deren Leiber ungewöhnlich feist wirkten.
    »Soll ich etwa rüberfliegen?«, fragte Zoe. Sie empfand ein unangenehmes Kribbeln in ihrem Magen. Der Abgrund machte sie nervös, zumal böige Winde ihre Standfestigkeit auf eine harte Probe stellten.
    »Du bist die Herrin«, sagte Baran. »Dir ist es erlaubt, den Palast Kariëm durch das Himmelstor zu betreten.«
    »Und wie, bitte schön?«
    »Gib den Torwächtern auf der anderen Seite ein Zeichen.«
    »Einen Wink?«
    »Was auch immer dir beliebt. Du bist die Gesandte.«
    Was sollte bloß dieses Gefasel? Man hatte sie wegen des Blauen Mals auf ihrer Stirn gefangen genommen, und man hatte sie aufgrund dessen für einen ganz bestimmten Posten auserkoren; so viel stand fest. Doch die Fragen nach dem Warum und dem Wieso blieben unbeantwortet.
    Zoe überlegte kurz und zeigte dann den beiden Torwächtern die Mittelfinger beider Hände. Sie unterdrückte ein Grinsen, als die beiden Priester mit zorngeröteten Köpfen aufeinander zugingen, sich anblickten und mit ihren Händen seltsame Bewegungen vollführten. Da schau her! Die Symbolik dieser Geste ist also auch hier bekannt!, sagte sie sich.
    Ein Grollen erklang. Das Echo wurde von den gegenüberliegenden Wänden der Schlucht gebrochen und klang sekundenlang wider. Der Ton, den sie hörte, wurde zur Silbe, die Silbe zum Wort,
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