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Schattenherz - Fesseln der Dunkelheit

Schattenherz - Fesseln der Dunkelheit

Titel: Schattenherz - Fesseln der Dunkelheit
Autoren: Anna Winter
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hast du das?“, fragt er noch einmal.
    Seine Stimme ist leise und unaufdringlich. Ich weiß nicht, was er mit seiner Fürsorge beabsichtigt, aber ich weiß, dass Vampire nicht uneigennützig sind.
    „Das darf ich nicht sagen.“
    „ Wieso nicht?“
    „ Weil ich im Moment noch Tylandora gehöre und sie es mir nicht gestattet, schlecht von Vampiren zu reden.“
    Er deutet auf meine Hand. „War sie das auch?“
    Ich schüttle den Kopf und versuche, sein Gesicht zu erkennen. Doch mir ist flau und schwindlig und ich schaffe es nicht, mich genug zu konzentrieren, um in der silbernen Schwärze des Raumes zu sehen. Mein Blick ist verschwommen und das ist der Moment, in dem ich bemerke, dass ich wieder zu weinen angefangen habe. Die Schwere des Tages drückt mich nieder.
    Ich will nicht daran denken, dass ich den Besitzer wechsle und ein alter Vampir mich in sein Bett mitnehmen wird, bevor die Nacht vorbei ist. Ich presse meine Beine zusammen, fühle mich wie versteinert. Keine, der Personen, die meine Fäden in der Hand hält, meint es gut mit mir. Tylandora hat mich einem furchtbaren Schicksal ausgeliefert.
    Ich wäre gerne allein in meinem Zimmer, sehne mich danach noch einmal meine Spieluhr zu hören. Tränen kullern über mein Gesicht und ich schniefe. Ich möchte ein letztes Mal die Fotografie meiner Eltern sehen und an meiner Babydecke riechen. Ich will allein sein mit einer Rasierklinge. Nicht zulassen, dass mir noch etwas passiert. Die Vorstellung ist unaussprechlich.
    Trauer überwältigt mich und ich weine vor diesem Fremden. Er ist in meiner dunkelsten Stunde bei mir und ich kenne weder seinen Namen noch sein Gesicht. Möglicherweise ist es diese Anonymität, die mich ihn ertragen lässt, obwohl auch er ein Mann ist.
    Er nimmt meine Hand und dreht sie in seiner.
    „ Die ist verstaucht.“
    „ Ja.“
    „ Tut es weh?“
    Alles tut weh.
    „Nein.“
    Er bleibt still. Diese ganze Begegnung fühlt sich nicht echt an. Meine Haut ist mir eigenartig fremd. Taub, und doch spüre ich seine Hand ganz genau. Sie ist warm und stark. Hält mich, obwohl ich keinen Halt mehr habe. Wie sinnlos alles scheint. Was für eine Ironie, dass ich am Ende meiner Existenz noch einmal Nähe erleben darf.
    Ich erinnere mich daran, wie meine Mutter mich oft hielt und in den Schlaf sang. Sie hatte eine wunderschöne Stimme. Mir fällt ein, wie mein Vater mich durch die Luft wirbelte, als wäre ich ein Vogel. In einer Welt voller Käfige war ich frei. Und dann war ich es nicht mehr.
    Er lässt meine Hand nicht los und berührt mit seiner anderen meine Wange. Ich zische vor Schmerz und er flucht. Mit einem Satz steht er auf und geht von mir weg. Meine Hand wird kalt und ich igle mich ein. Dann ist er wieder da. Mit einer Serviette und einer Karaffe Scotch von der Anreiche.
    „Das wird brennen, aber ich will nicht, dass es sich entzündet.“
    Fast sage ich ihm, dass es nicht mehr nötig ist. Doch dann beiße ich mir auf die Zunge. Ich will meinen Entschluss für mich bewahren. Dadurch gehört er mir ganz allein. Die Idee behält etwas Reines und Unberührtes, so wie sie dafür sorgt, dass ich selbst rein und unberührt bleibe. Ich werde meine Kammer mit meinem Blut tränken, stelle mir vor, was Tylandora davon hält.
    Sie wird sich ärgern, dass ihr Geschäft nicht klappt wie geplant. Sie wird jemandem auftragen, die Bescherung weg zu machen. Ich stelle mir einen ihrer Angestellten vor, der mit Chlorreiniger das Blut vom Boden schrubbt. Nein, ich will lieber im Bett liegen. Weich und sanft einschlafen.
    Ich habe keine Wanne, in die ich mich legen kann. Im Wasser soll es weniger wehtun. Aber ich fürchte mich nicht davor. Ich weiß, dass mein Herz immer schneller pumpen wird, um den Blutverlust auszugleichen und dass ich dadurch noch schneller verbluten werde. Mir wird schwindlig werden, doch das ist egal, wenn ich liege. Irgendwann werde ich besinnungslos. Vielleicht träume ich von meiner Kindheit, bevor der letzte Herzschlag verklingt. Der Gedanke an Blut stört mich nicht. Tylandora hat mich oft genug gebissen.
    Die Vorstellung, bald wieder mit meinen Eltern vereint zu sein, kommt mir wie ein Märchen vor. Als ob es das Romantischste ist, was mir bleibt. Ich nehme mir vor, das Schlaflied zu summen, das meine Mutter mir vorgesungen hat.
    Ich spüre ein Brennen auf meiner Wange und schrecke aus meiner Fantasie hoch.
    „Entschuldige“, sagt der Mann und tupft mit dem Tuch über meine Verletzung. „Das desinfiziert. Und glaube mir,
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