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Schattengesicht (quer criminal) (German Edition)

Schattengesicht (quer criminal) (German Edition)

Titel: Schattengesicht (quer criminal) (German Edition)
Autoren: Antje Wagner
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schmerzte. Ich bin krank, dachte ich. Wenn ich einfach liegen bleibe, dann ist nichts gewesen. Dann bin ich nur krank.
    Doch dann sah ich meine Hände auf der Bettdecke. Fremd. Ein fahles Grau, als wären sie schon eine Weile tot. Es war viel zu kalt im Zimmer. Eiskalt.
    Worte waren das Schlimmste; Vater hatte recht gehabt. Sie gingen nie mehr weg. Diese Worte, nachdem sie mich nach Hause geschleppt hatten. Als sie mit Ma in meinem Zimmer waren und dachten, ich würde nichts hören.
    ‚Es reicht! Erst wird sie fast vom Ast erschlagen, dann rutscht sie ins Wasser und ertrinkt um ein Haar! Ich werde mir das Sorgerecht zurückholen. Du bist krank, du kriegst es nicht auf die Reihe, auf sie aufzupassen! Denkst du, ich seh einfach zu, wie sie sich umbringt, Marie? Sie ist doch meine Tochter.‘
    S
    Ich trug einen Verband um den Kopf, und als wäre das nicht genug, hatte ich noch eine Bronchitis. Ich war in den Weiher gestürzt oder hineingeflüchtet, ich wusste es nicht mehr, aber dass ich unter Wasser gewesen war, daran erinnerte ich mich genau.
    Ich konnte kaum reden, nur husten. Ich ging nicht nach unten, wo Ina im Schankraum hinterm Tresen stand. Ich blieb im Bett und wartete, bis Ma mir Hühnerbrühe und Tee brachte. Sie stellte Fragen, aber ich zeigte auf meinen Hals und schüttelte den Kopf. Ich war zu schwach für alles. Nur nicht für das entsetzliche Gefühl, verraten worden zu sein.
    Ich werde mir das Sorgerecht zurückholen.
    Ich las nichts, ich schrieb nichts, ich spielte auch nicht Klavier. Ich lag nur da, mein Kopf unter dem Verband war heiß, und die genähte Wunde darunter pochte.
    Denkst du, ich seh einfach zu, wie sie sich umbringt, Marie? Sie ist doch meine Tochter.
    Immerzu kamen die Worte, aber weil ich es vermeiden musste, sie in einen Zusammenhang zu bringen, lenkte ich mich ab, indem ich ein Stück hochrutschte und zu dem zugeschraubten Fenster sah, durch die zitternden Blattspitzen des Eierpflaumenbaums über den Rasen, zu der niedrigen Pforte, die zum Garten führte, auf die Laube mit den winzigen Fenstern, in die Papa mir ein Sofa gestellt hatte, damals, als es ihm noch gut gegangen war. Die Holzkante des Betts drückte sich in meinen Nacken, aber ich blieb reglos liegen. Noch war ich eingehüllt in meinen Schutz aus Empörung.
    Als Inas Worte wiederkamen … Sie ist doch meine, ist doch meine, ist doch meine Tochter … versuchte ich, mir die Landschaft draußen als Teil meines Körpers vorzustellen und diesen Körper als Lied. Die Wiesen dort, die Schmetterlinge, die an der Hauswand ausruhten, die Luft, die das Haus von allen Seiten berührte, die hin- und herschwingende Gartenpforte und der Himmel – all dies war eine Erweiterung meines Körpers. A, Fis und E. Ich war gar nicht hier drin, ich war schon lange draußen. Und ich klang. Aber dieser Gedanke war so anstrengend, dass mein Kopf ganz langsam von selbst von der Kante ins Kissen rutschte und ich einschlief. Wenn Carsten oder Ina die Tür öffneten, um nach mir zu sehen, schlief ich jetzt immer.
    - - -
    Etwas klopfte gegen meine Schläfen, klopfte sich in meinen Traum hinein, klopfte mich wach. Ich schlug die Augen auf. Die Dunkelheit war dicht. Ich hörte gedämpftes Gelächter, auf- und abebbende Stimmen, verzerrte Klänge von Musik. Es drang durch die Bodenbretter. Samstagnacht. Es war Disko im Anker .
    Da war es wieder! Mein Kopf schnippte in die Höhe. Ein Scharren. Das Geräusch kam nicht vom Saal unten. Es kam von draußen. Von der anderen Fensterseite.
    Da war nur der Eierpflaumenbaum. Die Nacht zog an den Ästen, schlug sie aufs Fensterbrett, gegen die Scheibe. Wie Knöchel. Es wurde lauter. Ich setzte mich auf.
    Im Dunkeln war das Fenster ein hellgrauer Fleck, vor dem sich etwas bewegte. Kein Ast. Ein Tier, dachte ich, aber es war zu groß für eine Katze. Ich tastete nach der Nachttischlampe und schaltete sie an. Das Zimmer brüllte vor Helligkeit, doch das Fenster war sofort tiefschwarz. Es klopfte wieder.
    Ich schwang die Beine aus dem Bett und fühlte mich nackt. Wenn wirklich etwas da draußen war, würde es mich in all der Helligkeit deutlich sehen. Ich machte das Licht wieder aus und schlich zum Fenster, schirmte die Hände gegen das Glas. Und prallte zurück.
    Das Mädchen! Ich sah es deutlich. Blasse Lippen, die Haare lose. Ich starrte hinaus, und das Mädchen starrte herein. Sie machte Zeichen. Dann legte sie die Hände flach gegen das Glas und versuchte, das Fenster hochzuschieben. Sie wird herunterstürzen,
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