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Sanctum

Sanctum

Titel: Sanctum
Autoren: Markus Heitz
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Chastel!«, sagte er mit Verschwörermiene. »Ihr wurdet mir genau beschrieben, und ich warte schon einige Tage auf euch.«
    Jean zügelte das Pferd. »Wer schickt dich?«
    »Mein Name ist Emile Maiziere, Monsieur. Meine Eltern haben einen kleinen Hof und«, er schaute nach rechts und links, als würde er einen heimlichen Lauscher erwarten, »einen Gast, den Ihr sicher eben bei den Klosterruinen gesucht habt. Folgt mir, ich bringe Euch hin.«
    Die Nachricht verwunderte Jean. Die Maizieres waren Camisarden, Nachfahren von vertriebenen Hugenotten, das wusste er vom Gerede der Leute. Ausgerechnet dahin sollte sich die Äbtissin eines Klosters begeben haben?
    Emile sah Jean an, dass er sich schwer tat, ihm zu glauben. »Falls Ihr zögert, soll ich Euch daran erinnern, dass es ihr Rosenkranz war, der die Erlösung brachte.«
    Jetzt wusste Jean, dass sich Gregoria tatsächlich bei den Camisarden aufhielt. Sie hatte ihm ihren silbernen Rosenkranz gegeben, damit er ihn einschmelzen und zu Kugeln machen konnte, um Antoine zu töten. Er beugte sich nach vorn und hielt dem Jungen die Hand hin. »Steig auf. Du musst nicht laufen.«
    Emile schwang sich mit einem Grinsen nach oben, und es ging los. Jean lächelte. Ja, dieser Unterschlupf passte zu Gregoria. Ein Ort, an dem sie niemand vermuten würde.

    Bald erreichten sie das kleine Gehöft und stiegen ab. Emile führte an einer aus Granitsteinen gefügten Mauer vorbei um eine Ecke, bis sie dort standen, wo ein Dutzend Hühner im heißen Sand scharrten und ein paar Enten auf einem kleinen, weidenumkränzten Teich voller Entengrütze schwammen.
    Gregoria saß auf einer grob gezimmerten Bank im Schatten der tief hängenden Äste, ein Buch auf ihrem Schoß; sie trug ein schwarzes Kleid, das ihr viel zu weit war, und ein dunkles Kopftuch auf dem blonden Schopf.
    »Danke, Emile.« Jean fuhr ihm über die kurzen braunen Haare. Dann näherte er sich der Äbtissin, und mit jedem Schritt stieg die Verwunderung darüber, dass der Mann an der Ruine ihn nicht angelogen und nicht einmal übertrieben hatte. Er sah keine Verbände, keine gerötete und sich schälende Haut, und von den schrecklichen Verbrennungen, die er bei ihr in jener Nacht gesehen hatte, war nichts mehr zu erkennen. Es war ein wahrhaftiges Wunder!
    Gregoria hörte, dass die Hühner gackernd vor jemandem davonliefen, hob den Kopf und blickte ihn an. Ihre Lippen bewegten sich stumm: Sie nannte seinen Namen. Langsam schloss sie das Buch und erhob sich.
    Jean erkannte, dass sie ebenso bewegt war wie er und trotzdem nicht wusste, ob sie ihn umarmen durfte. Endlich hatte er sie erreicht, lehnte die Muskete gegen die Bank und stand unschlüssig vor ihr.
    Der warme Sommerwind rauschte in den Weiden, die Oberfläche des Teichs kräuselte sich und sandte kleine Wellen gegen die Böschung; Lichtstrahlen tanzten auf dem Boden und an den Stämmen. Alles um die beiden schien in Bewegung zu sein, nur sie verharrten statuenhaft voreinander, abwartend, stumm – aber mit einer Glückseligkeit in den Augen, die sich nicht an die Starrheit der Körper halten konnte.
    Schließlich hielt Jean es nicht mehr aus. Er wollte die Spannung mit einer Begrüßung brechen, wollte einfach nur etwas sagen – doch stattdessen riss er Gregoria einfach an sich und schloss sie mit einer Mischung aus Seufzen und Weinen in die Arme.
    Sie erwiderte seine Zärtlichkeit, drückte sich an ihn und vergoss Tränen, die heiß an seinem Hals entlangrannen. Die Zeit schien um sie herum stillzustehen, während sie den Moment der unbeschreiblichen Freude und tiefen Liebe genossen und festhielten.
    »Verzeih mir, dass ich dich allein gelassen habe«, sagte Jean. »Aber ich musste die Bestie …« Er verstummte.
    Gregoria tupfte sich die Tränen mit dem Kleiderärmel ab, setzte sich und zog ihn neben sich. »Es ist gut«, beruhigte sie ihn. »Schau, was für ein Wunder der Herr an mir vollbracht hat.« Sie zog den Ärmel weiter hoch und zeigte ihm makellose weiße Haut. »Du musst dir keine Vorwürfe machen, Jean.« Jetzt wischte sie seine Tränen ab und streichelte seine rechte Wange und sein Kinn. »Aber du zuerst: Was ist mit der Bestie? Ich dachte, Antoine …«
    Er schüttelte seinen weißen Kopf und berichtete von den vergangenen Tagen, von der Begegnung mit Acot und der Unterredung mit dem Marquis. »Es war sein Sohn, der euer Kloster anzündete und dann nach Rom geflohen ist. Aber«, er gab ihr einen Kuss auf die Stirn, »er wird mir nicht entkommen. Der König will
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