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Saemtliche Dramen

Saemtliche Dramen

Titel: Saemtliche Dramen
Autoren: Albert Camus
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sage mir, wer du bist, was dein Ziel ist und was dein Begehr. Sprich.
    JULIA (zieht ihr Schwert)
    Wenn du mit einem Wort hören willst, woher ich komme und wer ich bin, so ziehe dein Schwert! … Und wisse, dass ich gekommen bin, um dich zu töten.
    EUSEBIO
    Ich bin bereit, mich zu verteidigen, mehr nicht. Ich fürchte deine Kühnheit und das, was du tun könntest, aber mir will scheinen, dass deine Stimme nicht feindselig klingt.
    JULIA
    Schlage dich, Feigling, und ich werde dir diesen Zweifel nehmen, zusammen mit dem Leben!
    EUSEBIO
    Also schlage ich mich, werde aber nur deine Hiebe abwehren, ohne dich zu verletzen. Ich hänge am Leben. Wenn ich dich in diesem Kampf töte oder du mich, so erfahre ich nicht, warum ich töte oder warum ich sterbe. So bitte ich dich, zeige mir dein Gesicht.
    JULIA
    Du hast recht. Wenn es um die Ehre geht, ist der Beleidigte nicht zufrieden, bevor der Beleidiger nicht weiß, wofür er gezüchtigt wird. (Sie nimmt ihre Maske ab.) Erkennst du mich?
    EUSEBIO
    Bis jetzt hat sich mein gequältes Herz danach gesehnt, dich zu sehen, aber jetzt gäbe es, um dich nicht gesehen zu haben, alles hin, was es für ein Wiedersehen gegeben hätte. Du, Julia! … Du hier! … In weltlichen Kleidern, die Gott doppelt lästern! … Wie bist du allein hierhergekommen? … Wer hat dich geführt? …
    JULIA
    Deine Verachtung und meine Scham! Und damit du erfährst, dass eine Frau, die ihrem Verlangen folgt, schneller ist als ein Pfeil, heißer als eine Kugel und überraschender als der Blitz, will ich dir meine bisherigen Verbrechen schildern, und du sollst wissen, dass ich sie nicht nur mit Genuss begangen habe, sondern dass es den Genuss noch steigern wird, sie im Bericht aufleben zu lassen.
    Nachdem du mich verlassen hattest, floh ich zunächst aus dem Kloster ins Gebirge. Dort wollte ein Schäfer mich warnen, dass ich den falschen Weg genommen hatte. Törichterweise bekam ich Angst vor ihm, und um alle Gefahr abzuwenden, die er für mich bedeuten konnte, brachte ich ihn mit einem Messer, das er am Gürtel trug, für immer zum Schweigen. Das war mein erstes Verbrechen. Später bot mir ein Reiter, der sah, wie müde ich war, freundlich an, hinter ihm aufs Pferd zu steigen. Dann wollte er aber in ein Dorf reiten, ich jedoch wollte bewohnte Gegenden meiden und brachte ihn als Entgelt für seinen Gefallen mit demselben Messer um. Drei Tage und drei Nächte hatte ich in dieser Wüstenei nichts zu essen als wilde Pflanzen und nur eiskalte Felsen zum Bett. Endlich kam ich zu einer armseligen Hütte. Der Anblick ihres Strohdachs besänftigte mein Herz und verhieß mir Flüchtling Schutz und Unterkunft. Eine Bäuerin empfing mich großzügig und wetteiferte mit ihrem Mann, einem Schäfer, in Aufmerksamkeiten. An ihrem kargen, aber gastfreundlichen Tisch vergaß ich Erschöpfung und Hunger. Doch auch hier befiel mich beim Abschied die Furcht, sie könnten denen, die mich möglicherweise suchten, von mir erzählen. In den Bergen tötete ich den braven Schäfer, der mir den Weg wies, dann ging ich zurück und tat dasselbe mit seiner Frau.
    Bald wurde mir aber klar, dass meine Kleidung mich verriet, und ich beschloss mich umzuziehen. Ein ruhender Jäger, dessen Schlaf ich zu einem ewigen machte, lieferte mir die Kleidung und die Waffen, die du hier siehst. Auf tausend Umwegen, allen Hindernissen und Gefahren zum Trotz und mit Hilfe vieler Verbrechen gelangte ich zu dir.
    EUSEBIO
    Ich betrachte dich gebannt. Deine Stimme bezaubert mich, und doch zittere ich vor dir. Nein, Julia, noch einmal, ich habe dich nicht verachtet, sondern die Gefahren gefürchtet, mit denen der Himmel mir droht, und mich darum von dir abgewandt. Kehre in dein Kloster zurück. Ich habe so eine Furcht vor diesem Kreuz, dass ich es fliehen muss … Was ist das für ein Lärm?
    (Die Räuber treten auf.)
    RICARDO
    Hauptmann, mache dich bereit, dich zu verteidigen. Curcio und seine Männer haben die Straße verlassen und suchen dich in den Bergen. Sämtliche Dorfbewohner ziehen gegen dich, Greise, Frauen und Kinder inbegriffen. Sie schreien, dass sie mit deinem Blute das Blut eines Sohnes rächen, der von deiner Hand fiel. Sie schwören, sie werden dich fangen, tot oder lebendig, und dich als Gefangenen nach Sena bringen und deiner Strafe zuführen.
    EUSEBIO
    Julia, wir reden später weiter, verhülle dein Gesicht und komm! Du darfst deinem Vater nicht in die Hände fallen. Er ist dein Feind. Nur Mut, meine Brüder! Dies ist der Tag des
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