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Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.

Titel: Rosa Luxemburg - Im Lebensrausch, trotz alledem.
Autoren: Annelies Laschitza
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chaotisch, ohne System, so daß man nicht alles zu ›verdauen‹
     imstande war« 41 , erinnerte sich Adolf Warski, der zusammen mit Julian Marchlewski einem solchen Zirkel angehörte und wie dieser einige Jahre
     später zu den politischen Weggefährten Rosa Luxemburgs zählte.
    Wie Julian Marchlewski und Adolf Warski gewann auch Rosa Luxemburg durch das Studium verbotener Literatur erste Anregungen
     zum kritischen Nachdenken über die politisch und sozial unerträglichen Zustände in ihrer Heimat, in der in den achtziger Jahren
     erneut Judenpogrome furchtbare Angst und Schrecken verbreiteten. Mit zehn Jahren hatte sie Weihnachten 1881 das erste Mal
     einen Pogrom erlebt, der tagelang im Warschauer Ghetto wütete, viele Juden wurden verletzt und getötet, Tausende Familien
     erlitten Verluste und wurden gedemütigt. Auch die Zlotastraße, in der die Luxemburgs wohnten, wurde von einer großen schreienden
     und plündernden Horde heimgesucht.
    Dieses schreckliche Kindheitserlebnis vergrub Rosa Luxemburg tief in sich; sie verdrängte es vermutlich, indem sie sich schon
     in jungen Jahren stolz und ehrgeizig vornahm, sich für ein Leben einzusetzen, in dem solche unmenschlichen Exzesse unmöglich
     sein sollten. Selbstbewußt schrieb sie in einer Widmung für eine Schulfreundin: »Mein Ideal ist eine solche Gesellschaftsordnung,
     in der es mir vergönnt sein wird, alle zu lieben. Im Streben danach und im Namen dieses Ideals werde |30| ich vielleicht einmal imstande sein zu hassen. Du wirst das nie können und bist ganz umsonst so früh zur Welt gekommen.« 42
    Ob sich Rosa Luxemburg schon während ihrer Gymnasialzeit oder erst nach Abschluß der Schule einem illegalen Zirkel anschloß,
     ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Verbürgt ist, daß sie zu einem Kreis von Gymnasiasten, Studenten und Arbeitern gehörte,
     der der Gruppe Kazimierz Szczepańskis und Ludwik Kulczyckis an der Handelsschule von Kronenberg nahestand. 43 Diese wiederum besaß Kontakte zu einigen nach Genf emigrierten Mitgliedern der Partei »Proletariat I« und besorgte sich von
     dort sozialistische Schriften.
    Um die Jahreswende 1887/88 versuchten junge polnische Sozialisten wie Szczepański und Kulczycki, die Partei »Proletariat«
     wieder aufzubauen. Nach der Rückkehr von Ludwik Kulczycki aus Genf im Januar 1888 vereinte sich der »Kronenberger« Intelligenzzirkel
     mit einem von Adam Dabrowski, einem Mitstreiter Ludwik Waryńskis, geleiteten Arbeiterzirkel, dem Julian Marchlewski angehörte.
     Damit entstand der Grundstein für eine neue sozialistische Organisation, die sich wie ihre Vorgängerin »Proletariat« nannte
     und als »II. Proletariat« in die Geschichte eingegangen ist. Zum Entstehen dieser neuen Partei trug auch eine weitere Gruppe
     Warschauer Arbeiter bei, die als Arbeiterkomitee vom Dachdecker Marcin Kasprzak geleitet wurde, der aus dem Posener Gefängnis
     geflohen und konspirativ nach Warschau gekommen war.
    Über die Orientierung der neuen Partei gab es natürlich Auseinandersetzungen. Kulczycki strebte eine illegale terroristische
     Kampforganisation ähnlich der »Narodnaja Wolja« an, während Kasprzak den individuellen Terror ablehnte und eine Massenorganisation
     etwa nach dem Vorbild der deutschen Sozialdemokratie schaffen wollte, von der er in Posen beeinflußt worden war. Zudem standen
     sich extremer Nationalismus und proletarischer Internationalismus, wie ihn Kasprzak verfocht, gegenüber.
    Rosa Luxemburg fühlte sich wie Adolf Warski und Julian Marchlewski zur Gruppe um Marcin Kasprzak hingezogen. Die Partei wuchs
     und gewann dank reger Agitation an Einfluß. 1888 organisierte sie einige Streiks in Warschau. Die zaristische Geheimpolizei
     kam ihr jedoch bald auf die Spur. Im Herbst |31| 1888 setzten Verhaftungen ein, denen bis zum Dezember ca. 40 Mitglieder der Partei »II. Proletariat«, darunter Ludwik Kulczycki
     und Kazimierz Szczepański, zum Opfer fielen. Die Verhaftungs- und Verfolgungswelle bedrohte auch Rosa Luxemburg. Sie mußte
     sich eine gewisse Zeit in der Provinz verstecken. »Von dort ging sie nach einer schweren Lungenentzündung im Frühjahr 1889
     mit Hilfe Kasprzaks […] illegal über die Grenze.« 44
    Der Weg in die politische Emigration fiel ihr gewiß nicht leicht, war jedoch ein entscheidender Schritt zu ihrer Emanzipation
     als Frau. Wie ihre älteren Brüder, die höhere Schulen absolvierten, vor allem wie Józef, der Medizin studierte, wollte auch
     sie einen akademischen Beruf
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