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Rapunzel auf Rügen: Roman (German Edition)

Rapunzel auf Rügen: Roman (German Edition)

Titel: Rapunzel auf Rügen: Roman (German Edition)
Autoren: Emma Bieling
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etwaskürzer geworden zu sein. Lumpi war also gewissermaßen zum Kurzohrhasen mutiert und ebenso reif für die Insel wie sie.
    Der Zug wurde langsamer, und in die Abteile kehrte zunehmend Leben ein. Cinderella rüttelte Tommy wach. »He, kleine Schlafmütze, aufwachen.« Er streckte sich und gähnte. »Mama, sind wir auf der Insel?«
    Sie nickte, ohne aufzublicken, konzentriert darauf, Lumpi in eine der Reisetaschen zu quetschen. Tommy, der fast die ganze Fahrt verschlafen hatte, wippte von einem Bein aufs andere.
    »Mama, ich muss mal.«
    »Was, jetzt?«
    »Ja, ganz doll.«
    Cinderella holte tief Luft und ignorierte die Information über das gerade sehr unpassende Bedürfnis ihres Sohnes. Der Zug ruckte unterdessen und blieb stehen. »Werte Gäste, wir haben soeben den Bahnhof von Westerland erreicht. Wir hoffen, dass sie eine angenehme Fahrt hatten, und wünschen ihnen einen schönen Aufenthalt vor Ort.«
    »Mama, ich muss wirklich ganz doll«, quengelte er weiter.
    Cinderella warf ihm einen bösen Blick zu. »Später, Tommy.«
    »Ich will aber jetzt aufs Klo.«
    Dabei stampfte er mit seinem Fuß auf. Cinderella griff Tommy am Arm und zog ihn zu sich heran. Aber noch ehe sie ihm einen Vortrag über »Ich-will-Sätze« halten konnte, brachte sich eine der älteren Damen ein, die ihr seit Stunden stumm gegenübersaßen.
    »Da vorne, junge Frau, da sind die Toiletten«, sagte sie und zeigte mit ihrem Gehstock in Richtung Örtlichkeit …
    Das fehlt mir gerade noch, dachte Cinderella.
    Wahrscheinlich würde Tommy ewig brauchen, der Zug weiterfahren und sie letztendlich irgendwo im Nirgendwo landen. Nein! Das wollte sie nicht riskieren. Nicht mit einhundertsiebenundachtzig Euro im Gepäck und den geographischen Kenntnissen eines Erdkunde-Muffels.
    »Vielen Dank, aber bis zur Bahnhofstoilette hält er noch durch.«
    Cinderella nahm ihr Gepäck, verabschiedete sich und drückte Tommy aus dem Abteil hinaus. Die älteren Damen folgten mit einem Kopfschütteln.
    Wahrscheinlich waren sie früher bessere Mütter gewesen. Aber sie hatten bestimmt auch keinen Mann wie Mike – einen singenden Berufsträumer, der sich im Nebenzimmer mit ihrer jüngeren Schwester vergnügte. Als wenn Cinderella das nie gemerkt hätte.
    Mit vier übergroßen Reisetaschen und einem bockigen Fünfjährigen im Schlepp drängte sie sich zu einer der Zugtüren. Gleich würde sie das erste Mal auf den Boden einer Insel treten – ihrer Trauminsel. Cinderella schob Tommy vorneweg die Tür hinaus. Sie konnte es kaum erwarten.
    Sylt, ich komme!
    Voller Andacht trat sie auf den Bahnsteig und wurde vom Sturm erfasst. Erschrocken ließ sie die Taschen fallen, um ihren Sohn festzuhalten. Was zur Folge hatte, dass der Wind unter ihr Kleid fuhr und es in die Höhe riss. Wie ein bunter Fallschirm flatterte es vor ihrem Gesicht hin und her. Cinderella hatte keine Wahl. Tommy oder die Zur-Schaustellung ihrer Unterwäsche. Sie umklammerte schützend ihr Kind und blickte sich um. Irgendwo musste es doch eine windgeschützte Ecke geben? Einige Meter entfernt stand eine Bank, direkt neben einem Zeitungskiosk. Sturmsicher genug, um auszuruhen und das Kleid mit einem einfachen Trick sylttauglich zu machen.
    Nachdem Tommy etliche Liter Limonade auf dem Bahnhofsklo gelassen hatte, half er seiner Mutter, die Reisetaschen auf einen der herumstehenden Gepäckwagen zu stapeln.
    Fröhlich gestimmt, setzten sich beide Richtung Westerland in Bewegung. Aber eines der Gepäckwagenräder blockierte, ein anderes wirbelte im Kreis herum.
    Tommy zerrte mit ganzer Kraft am Wagen, worauf der in Fahrt kam und geradewegs gegen einen Taxifahrer rollte, der an sein Auto gelehnt dastand.
    »Passen Sie doch auf!«
    »Verzeihen Sie, aber dieser Wagen macht, was er will«, entschuldigte sich Cinderella.
    Der Mann grinste und schnippte den Rest seiner Zigarette weg. »Na, so ein blödes Ding. Kann ich Ihnen vielleicht helfen?«
    »Sie könnten mir sagen, wie weit es bis zum ersten Hotel ist?«
    »Das Sylter-Dream?«
    »Weiß nicht – einfach das erste.«
    »Ist gleich da vorne rechts. Aber wenn Sie nicht reserviert haben, besteht null Chance. Alles ausgebucht, selbst in Tinnum und Kampen.«
    Cinderella seufzte auf. Wie hatte sie nur denken können, dass ausgerechnet Sylt auf sie gewartet hatte! Sie – das Aschenbrödel der Neuzeit.
    Ach, wenn doch Oma Trautchen noch leben würde.
    Gewiss wäre ihr diese Dummheit dann erspart geblieben. Einfach wegzurennen vor den heimischen Problemen, um auf
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