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Pubertaet - wenn Erziehen nicht mehr geht

Titel: Pubertaet - wenn Erziehen nicht mehr geht
Autoren: Jesper Juul
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Jugendlichen, die ich im Lauf der Jahre kennengelernt habe, klagten beide Seiten über »Kommunikationsprobleme«, womit sie meinen, dass ihnen kein Gespräch gelingt, bei dem sich alle gesehen, gehört und verstanden fühlen. Dies gilt für Kinder und Eltern gleichermaßen und ist auch die häufigste Klage von Paaren, die eine Beratung oder Therapie in Anspruch nehmen.
    Dafür gibt es eine Reihe von historischen Ursachen, die ich in diesem Zusammenhang nicht überstrapazieren möchte, doch will ich auf Folgendes hinweisen:
    ❯ Verbale Kommunikation zwischen Eltern und Kindern besteht traditionell darin, dass Eltern Fragen stellen bzw. ihre Kinder »interviewen«, die sich ihrerseits bis zu einem gewissen Alter um sinnvolle Antworten bemühen.
    ❯ Wenn Eltern mit ihren Kindern ein »ernstes Wort« reden wollen, hat dies oft einen erklärenden oder belehrenden Monolog zur Folge.
    ❯ Die demokratische Entwicklung in Familie und Gesellschaft hat unser Diskussions- und Verhandlungsgeschick gestärkt. Beides ist wichtig, dient aber dem Gewinnen und nicht der Verbesserung zwischenmenschlicher Beziehungen.
    ❯ Eltern, Pädagogen und Lehrer vernachlässigen meist die persönliche Sprache des Kindes und bemühen sich um eine »wohlgesetzte« Rede. Was den Lerneffekt betrifft, ist dies zumindest überflüssig; ganz und gar schädlich ist dieses Verhalten
hingegen für die mentale Entwicklung der Kinder sowie ihre Fähigkeit, persönliche, enge Bindungen einzugehen.

Persönliche im Gegensatz zur »wohlgesetzten« Sprache
    Die höfliche, wohlgesetzte Sprache kommt in sozialen Beziehungen zum Tragen. Eine persönliche Sprache können Kinder jedoch nur entwickeln und bewahren, wenn die Erwachsenen in ihrer Umgebung sich ebenfalls persönlich äußern und die Kinder nachdrücklich dazu ermuntern, dasselbe zu tun.
    Das kleine Einmaleins der persönlichen Sprache lautet:
    ❯ Ich will - ich will nicht
    ❯ Ich mag - ich mag nicht
    ❯ Ich will haben - ich will nicht haben
    Eine meiner Tanten heiratete in vornehme Kreise ein, und so wurde ich früh darüber belehrt, dass man nicht sagt: »Ich mag keine Zwiebeln«, sondern: »Leider vertrage ich keine Zwiebeln«. Meine Sicherheit, mich auf dem gesellschaftlichen Parkett zu bewegen, mag dadurch zugenommen haben, doch leider wurde im selben Atemzug meine persönliche Sprache diskreditiert.
    Die persönliche Sprache bringt die Gefühle und Gedanken eines Menschen im Verhältnis zu einem anderen Menschen zum Ausdruck - bezogen auf einen ganz bestimmten Augenblick. Sie besitzt persönliche Substanz und »Körper« und ist somit wärmer als das, was ausschließlich vom Kopf ausgeht. Sie erleichtert den Sprecher und beeindruckt den Hörer. Das ist die authentische Qualität der persönlichen Aussage. Ihr intelligenter Teil handelt vom Willen, dem eine Form zu geben und zugleich Rücksicht auf sein Gegenüber zu nehmen, vor allem, wenn man
diesen Menschen liebt und/oder Macht über ihn hat. Die persönliche Aussage handelt stets von dem, der spricht, und ist deshalb niemals kritisch oder belehrend.
    Sehr oft, vor allem in den ersten Jahren einer Liebesbeziehung oder Freundschaft, müssen wir lange suchen und experimentieren, ehe wir einen persönlichen Ausdruck gefunden haben, denn dieser entwickelt sich weitgehend in einem gegenseitigen, vertrauensvollen Prozess. Doch auch die weniger geglückten Experimente sind für die Beziehung wertvoller als die Phrasen, die wir absondern, weil wir glauben, sie gehörten zu unserer Rolle.
    Ich habe nichts dagegen, wenn Eltern Wert darauf legen, dass ihre Kinder auch eine soziale Sprache erlernen. Sie zu beherrschen, ist ungeheuer nützlich. Doch gefällt es mir ganz und gar nicht, wenn Eltern sich selbst sowie ihre Kinder der Möglichkeit berauben, eine persönliche Sprache zu entwickeln und zu benutzen. Das hindert beide Seiten daran, enge Beziehungen zu Freunden, Partnern, Kindern und Eltern aufzubauen, in denen man sich im umfassenden Sinne gesehen, gehört und ernst genommen fühlt.
    Das Gegenteil der »schönen«, wohlgesetzten Rede ist die rohe, ungeschliffene Sprache, und es ist allzu verständlich, dass es den meisten Eltern widerstrebt, wenn ihre Kinder sie benutzen. Die Alternative besteht im persönlichen Ausdruck. Viele Eltern sind verzweifelt über die rohe Ausdrucksweise ihrer Kinder, zumal sie selbst sich doch so »gewählt« ausdrücken. Doch wenn diese Ausdrucksweisen aufeinanderprallen, sind es stets die Eltern, die den Anfang
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