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PR 2629 – Die Weltengeißel

PR 2629 – Die Weltengeißel

Titel: PR 2629 – Die Weltengeißel
Autoren: Christian Montillon
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sich selbst nicht mehr abtrennen, sondern wurde vollständig zu einem Teil des Ganzen. Szimon wusste das schon immer, es war eine der ersten Lektionen, die alle Kinder lernen mussten.
    Die Verbindung mit dem Kollektiv erlebte jedoch jeder anders.
    Für viele gestaltete es sich wie das normale Leben, nur dass keine Individuen mehr existierten, kein Ich und kein Du , nur noch ein Wir. So beschrieben es nicht nur die meisten Erzählungen, sondern auch die Lehrbücher. Szimon hatte sich darunter niemals etwas vorstellen können, es klang für ihn wie ein hilfloser Versuch, Worte für einen Vorgang zu finden, den niemand verstand.
    Er selbst erlebte es völlig anders: Für ihn war es, als schwebe er in einer Welt aus Nebel, Sonne und Wind. Einen Boden, Erde, Gestein – all das gab es nicht. Nur unendliche Freiheit einerseits ... und andererseits das Gefängnis, keinen einzigen eigenen Gedanken mehr fassen zu können.
    Manchmal schälte sich violetter Himmel zwischen den weißen Schwaden hervor. Er leuchtete, als stünde die Sonne direkt dahinter, doch es gab keine Sonne, obwohl Licht und Wärme existierten. Diese Welt, diese Vorstellung, gab es nur in seinem Kopf. Er formte sie so, wie es ihm gefiel.
    So flog Szimon immer weiter und genoss die Schönheit, die in den bizarren Nebelschwaden lag. Sie nahmen jede Form an, die er ihnen geben wollte. Hin und wieder entstand sogar ein perfektes Abbild von Hhanahorl, was ihm ein wenig peinlich war, denn sie vermochte es natürlich ebenfalls zu sehen.
    Genau das stellte auch das Problem dar. Im Kollektiv gab es keine Geheimnisse. Die Gedanken aller Angehörigen lagen völlig frei. Jeder konnte sie lesen. Niemand blieb für sich, sondern musste sein Innerstes offenbaren.
    Die Alten schienen sich daran nicht zu stören – und nur wenige aus der jungen Generation, die ein eigenes Kollektiv bildeten. Aber alle akzeptierten es, weil es eben so war. Sogar Hhanahorl dachte so. Nur er nicht. Er wollte nicht, dass alle ...
    Ein Brausen ertönte, und in der ansonsten weißen Welt aus Wärme und Licht regnete es plötzlich. Dicke, schleimige Tropfen kondensierten in der Luft und fielen in die Tiefe. Dort formten sie einen See aus Blut, der gerann und zu Staub zerfiel.
    »Nein!«, flüsterte Szimon, obwohl er in dieser Bewusstseinsebene des Kollektivs keinen Körper hatte, der diesem Wort Klang und Ton verlieh.
    Nein!, tönte es auch aus Dutzenden, Hunderten anderen Richtungen, in einem perfekten Gleichklang, ohne störende anderslautende Gedanken. Jeder konzentrierte sich auf das, was geschah.
    Szimon schreckte in seiner Schlafkuhle auf, genau wie alle Cruny in seinem Kollektiv – also alle auf dem Planeten, die jünger als 20 Jahre waren. Jemand hatte sich aus dem geistigen Verbund gelöst, auf tragische, entsetzliche Weise; auf die einzige mögliche Art: Er war gestorben.
    Szimon Corosh'thas Kieferklauen rieben aufeinander. Ein kleiner Tropfen getrockneten Nektars fiel dabei in seinen Mund. Der junge Cruny fühlte eine furchtbare Bedrückung. Angst breitete sich in ihm aus.
    Er war im Schlaf, als er in der gemeinsamen Bewusstseinswelt trieb, so sehr von der plötzlichen Wende der Ereignisse überrascht worden, dass er nicht einmal wahrgenommen hatte, wer gestorben war. Aber es war einer von ihnen gewesen – jemand aus dem Kollektiv. Einer, der zu ihm gehörte und zu dem er gehörte.
    Mühsam rollte sich Szimon aus der Schlafkuhle. Eines seiner Beine klatschte dabei in die Nahrungskuhle. Die Tran-Schabe zappelte einen Augenblick unter ihm, dann brach knackend der kleine Chitinpanzer.
    Szimon kroch los, auf den Ausgang seiner Wohnkuhle zu, wuselte im steilen Schacht nach oben und sprang ins Freie. Er war einer von tausend, die genauso handelten wie er.
    Aus den Beregnungsröhren rundum tropfte Wasser, das in die Erde sickerte und die Wände der Wohnwaben feucht hielt. In jedem freien Quadrat des Röhrennetzes standen Cruny und schauten einander an.
    Ein Gedanke pflanzte sich fort im kollektiven Gedankennetz, wurde immer deutlicher, schälte sich aus einem Chaos sich überschlagender Eindrücke.
    wer ist es – wer ist gestorben – ich weiß es – hhanahorl – sicher – ich bin sicher – wir sind – hhanahorl – kein Zweifel, es ist so – sie ist es.
    Der Name kam immer wieder, wie ein rhythmisch schlagendes Herz: hhanahorl .
    Sie war es. Sie war tot, nein, mehr noch. Szimon hörte es in den Gedanken seines Kollektivs ganz deutlich, einige sahen in diesem Augenblick ihre Leiche,
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