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Portrat in Sepia

Portrat in Sepia

Titel: Portrat in Sepia
Autoren: Isabel Allende
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behalten. Ich gehe in Frieden, Tao, weil
niemand meine Tochter Eliza besser behüten könnte als Sie.«
»Niemand könnte sie mehr lieben als ich, Sir.«
     
»Wenn ich nicht mehr bin, wird jemand sich um meine
Schwester kümmern müssen. Sie wissen, daß Rose wie eine
Mutter zu Eliza war…«
     
»Machen Sie sich keine Sorgen, Eliza und ich werden immer
für sie dasein und sie beschützen.«
     
»Der Tod… ich meine… kommt er rasch und mit Würde?
    Wie werde ich wissen, wann das Ende kommt?«
»Wenn Sie Blut erbrechen, Sir«, sagte Tao Chi’en traurig.
Es geschah drei Wochen später, mitten im Pazifik, in der
    Abgeschlossenheit der Kapitänskajüte. Sowie der alte Seemann
aufstehen konnte, säuberte er sich von den Spuren des
Erbrochenen, spülte sich den Mund, tauschte das blutbefleckte
Hemd gegen ein sauberes, zündete seine Pfeife an und ging
hinaus an den Bug seines Schiffes. Dort stand er eine Weile und
blickte zum letztenmal hinauf zu den Sternen, die am
samtschwarzen Himmel funkelten. Mehrere Matrosen sahen ihn
und blieben in einiger Entfernung stehen, die Mützen in der
Hand. Als der Tabak aufgeraucht war, schwang Kapitän John
Sommers die Beine über die Reling und ließ sich ohne Lärm und
Laut ins Wasser fallen.
    Severo del Valle lernte Lynn Sommers 1872 kennen, als er
mit seinem Vater von Chile nach Kalifornien reiste, um Paulina
und Feliciano zu besuchen, die in den schönsten
Klatschgeschichten der Familie immer die Hauptrolle spielten.
Severo hatte seine Tante Paulina ein paarmal bei ihren
gelegentlichen Auftritten in Valparaiso erlebt, aber bis er sie in
ihrer nordamerikanischen Umgebung kennenlernte, hatte er die
Seufzer christlicher Unduldsamkeit seiner Familie nicht
begriffen. Fern von dem religiösen, konservativen Umfeld in
Chile, fern von dem in seinem Paralytikerlehnstuhl
eingeklemmten Großvater Agustin, von Großmutter Emilia mit
ihren unheilvoll düsteren Spitzen und den Leinsamenklistieren,
fern von ihren übrigen so neidischen wie furchtsamen
Verwandten war Paulina erst zur eigentlichen Amazone, ja
Walküre aufgeblüht. Auf seiner ersten Reise war Severo del
Valle noch zu jung, um die Macht oder das Vermögen dieses
berühmten Paares zu ermessen, aber ihm entgingen nicht die
Unterschiede zwischen ihnen und dem Rest des Stammes del
Valle. Erst als er Jahre später wiederkam, sollte er begreifen,
daß sie zu den reichsten Familien San Franciscos gehörten, auf
gleicher Stufe wie die Magnaten des Silbers, der Eisenbahn, der
Banken und des Transports. Auf dieser ersten Reise saß der
Fünfzehnjährige auf dem Fußende des vielfarbigen Bettes seiner
Tante Paulina, und während sie die Strategie ihrer nächsten
Handelskriege plante, entschied Severo über seine eigene
Zukunft. »Du solltest Anwalt werden, damit du mir helfen
kannst, meine Feinde nach allen Regeln des Gesetzes zu
vernichten«, riet ihm an diesem Tag Paulina zwischen zwei
Happen Blätterteiggebäck mit Karamelfüllung.
    »Ja, Tante. Großvater Agustin sagt immer, in jeder achtbaren
Familie muß man einen Anwalt, einen Arzt und einen Bischof
haben«, erwiderte ihr Neffe. »Man muß auch einen Kopf für
Geschäfte haben.«
»Großvater meint, Handel treiben ist nicht Sache des Adels.«
    »Dann sag du ihm, vom Adel wird man nicht satt, er soll ihn
sich in den Arsch stecken.« Der Junge hatte dieses schmutzige
Wort bisher nur von dem Kutscher der Familie gehört, einem
aus dem Gefängnis in Teneriffa geflohenen Madrilenen, der aus
unerfindlichen Gründen auch auf Gott und auf eine bestimmte
Flüssigkeit zu scheißen pflegte. »Nun hab dich nicht so
zimperlich, Jungchen, einen Arsch haben wir doch schließlich
alle!« rief Paulina aus und wollte sich schier totlachen über den
Gesichtsausdruck ihres Neffen.
    An diesem Nachmittag nahm sie ihn mit in die Konditorei von
Eliza Sommers. San Francisco hatte Severo schon vom Schiff
aus auf den ersten Blick fasziniert: eine strahlende Stadt in einer
grünen Landschaft von Hügeln, die über und über mit Bäumen
bewachsen waren und sich in Wellen hinabsenkten bis zum Ufer
einer Bucht mit ruhigem Wasser. Von weitem wirkte sie streng
mit ihrem spanischen Grundriß von parallel und quer
verlaufenden Straßen, aber von nahem hatte sie den Zauber des
Unerwarteten. Der Junge, gewöhnt an den schläfrigen Anblick
des Hafens von Valparaiso, wo er aufgewachsen war, starrte
verwirrt auf das wahnwitzige Drunter und Drüber von kleinen
Häusern und
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