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Polarrot

Polarrot

Titel: Polarrot
Autoren: Patrick Tschan
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getauscht und die überrissene Rechnung wird anstandslos bezahlt. Aber darunter grummelt der Neid, Breiter. Der Neid über den Anderen, der mehr haben könnte als man selbst. Und der Neid wird gesammelt. Und das Taufbecken dafür sind die ewig alten Ideen. Rom auferstehen lassen, die Schmach des auferzwungenen Friedens ablegen, die Schuldigen ans Kreuz nageln, den Kaiser heimholen. Die Hausmeister stehen bereits überall stramm, ihre Schlüsselbunde klappern, die Kellerverstecke werden freigehalten, die Bastelanleitungen für Brandsätze verteilt. Darum werden wir bald wieder den Karabiner am Berninapass auf unsere Knie legen. Und je nach Wetterlage werden wir den Lauf in die oder jene Richtung halten.“
    Camenisch nahm einen Zug von seiner Zigarette, betrachtete die aufflammende Glut und versuchte den Berninapass zu sehen.
    Jack räusperte sich. „Hmm, Herr Direktor, aber …?“
    „Sie haben das Vertrauen, das man Ihnen geschenkt hat, schamlos ausgenützt. Sie haben das Vertrauen der Russin erschlichen, um an ihr Geld zu kommen. Es gibt kein schlimmeres Vergehen bei reichen Menschen. Es ist schon schwer genug für sie, zwischen wahren und falschen Freunden, die es nur auf Geld abgesehen haben, zu unterscheiden. Darum schaffen wir ein Reservat für sie hier oben und tun alles für die Sicherheit, dass eben das nicht geschehen kann. Dass sie sicher sein können vor solchen Halsabschneidern, Hochstaplern und Heiratsschwindlern, wie Sie es sind. Wären Sie nicht Angestellter meines Palace, na gut, jedes Netz hat Maschen – aber Sie, Breiter, Sie sind das Spiegelbild des Palace, Sie sind das Abbild meiner Seele. Können Sie sich vorstellen, was das bedeutet? Können Sie sich vorstellen, was geschieht, wenn diese Seele schamlos betrügt? Können Sie sich das vorstellen, Toggenburgerli?“
    Jack wusste weder wohin mit seinen Händen noch mit seinen Füßen.
    „Entschuldigung.“
    Jack schwieg.
    „Wir waren ja auch Reisläufer, Waffenknechte fremder Herren, aber jetzt haben wir uns etwas aufgebaut, zuerst mein Großvater, gut siebzig Jahre ist das her, dann die Idee meines Vaters, das Palace auch während des Winters zu öffnen, gut vierzig Jahre ist das her, und jetzt haben wir ein Schloss. Und das lassen wir uns nicht nehmen. Schon gar nicht von Toggenburger Industrieknechten und schon gar nicht in Zeiten, in denen Vorräte angelegt werden müssen. Sie haben Misstrauen gesät, einen Brandherd gelegt. Und damit daraus kein Flächenbrand entsteht, muss ich den Brandherd eliminieren. Und der Brandherd sind Sie, Breiter!“
    Camenisch drehte sich zu Jack um, sah ihn eine Weile an und schüttelte den Kopf: „Breiter, was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht? Haben Sie gedacht, Sie würden wirklich mit all den Lügen und Aufschneidereien bis vor den Traualtar kommen? Schwindel auf Schwindel türmen? Meinten Sie wirklich, diese Gesellschaft hätte Sie einfach so mit offenen Armen empfangen? Oder haben Sie darauf vertraut, die Liebe würde dann schon alles vergessen machen, Breiter? Betrug hält Liebe schwerlich aus. Um so schlimmer, wenn er am Anfang steht und das in diesen Kreisen, bei diesen Vermögen. Sie haben die ganze Sache nicht mal über die Nasenspitze hinaus, geschweige denn zu Ende gedacht. Breiter, lernen Sie gottverdammich noch mal Ihre Grenzen kennen.“
    Camenisch ging zum Schreibtisch, setzte sich, drückte die Zigarette aus, nahm das bereitgelegte Blatt in die Finger und las den Titel: „Zeugnis, Breiter, Zeugnis. Was soll ich schreiben? Gute Kraft, vielfältig einsetzbar, auch als dilettantischer Schwindelhuber? Oder soll ich gar nichts schreiben? Soll ich jetzt doch den Dorfgendarmen rufen und Sie wegen versuchten Heiratsschwindels einkerkern lassen, so wie ich es in meiner ersten Wut heute Morgen machen wollte?“
    Jack fiel das Herz in die Hose. „Bitte nicht, ich wollte sie ja nicht heiraten, Herr Direktor.“
    „So, was dann?“
    Jack zuckte mit den Schultern.
    „Breiter“, schrie Camenisch, „jetzt lügen Sie mich nicht auch noch an. Sie können gopferdammi anlügen, wen Sie wollen, Sie, Breiter, aber nicht in meinem Palace und schon gar nicht mich. Haben Sie verstanden, Breiter?“
    Jack krallte seine Fingernägel der rechten Hand in den Handballen seiner linken, biss sich auf die Lippen, so dass der Schmerz die aufkommenden Tränen verschluckte. Nicht weinen, nur nicht weinen vor diesem Ochsengrind, das sind keine Schläge Jack, das sind nicht die Tritte deines Vaters. Und so stammelte
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