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Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)

Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)

Titel: Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)
Autoren: Nicola Förg
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ausgesprochen blauen Augen schienen verwundert ins Leere zu starren. Sie war blass, und ihr langes dunkles Haar war auf den Holzschnitzeln ausgebreitet. Aus einer Schusswunde an der Stirn trat Blut aus. Das kalkweiße Gesicht, die Haare wie Ebenholz, das rote Blut – eine tote Märchenfrau.
    »Siehst du, Julia? Schneewittchen ist schon tot«, sagte Benedikt völlig ungerührt.
    Julia war wie paralysiert und wachte erst auf, als hinter ihr das Chaos ausbrach. Natürlich war es Lea nicht gelungen, die Kinder auf den Holzbänken zu halten. Nun standen sie hier, und als eines zu weinen begann, brach ein kollektives Heulkonzert aus. Julia schaffte es irgendwie, die Kleinen wegzuscheuchen und sie zurück zum Haupthaus zu bringen, wo es in einem Nebengebäude einen Seminarraum mit Küche gab. Es glückte ihr sogar noch, Lea zum Kakaokochen abzukommandieren, die Polizei und die Haushälterin zu alarmieren.
    Als die sich völlig erschüttert in Richtung des Geheges aufmachen wollte, stellte sich ihr Benedikt in den Weg. »Das darfst du nicht, das verwischt die Spuren. Wie im Fernsehen.«
    Du lieber Himmel, was fand man im Hause Haggenmüller denn passend als TV-Kost für einen Fünfjährigen? Nun ja, bei den beiden Rechtsanwaltseltern konnte man ja nie wissen, dachte Julia und wunderte sich über sich selbst. Da draußen lag eine tote Frau, und sie dachte über Kindererziehung nach.
    Die Haushälterin war leise weinend auf einen Stuhl gesunken. Benedikt ging zu ihr hin und reichte ihr einen Becher Kakao. »Abwarta und Kakau trinka«, sagte er. Oh, du segensreicher Opa aus dem schönen Halblechtal …
    Irmi war beschwingt ins Büro gekommen. Dort traf sie auf eine Kathi, die wie die Inkarnation von »I don’t like Mondays« aussah. Die Augen verquollen, fummelte Kathi ein Taschentuch nach dem anderen heraus und verfluchte ihre Allergiemedikamente, die alle nichts halfen.
    »Versuch’s doch mal mit Sulfur-Globuli«, schlug Irmi vor, was ihr einen Blick einbrachte, der vernichtend war.
    »Zuckerkügelchen mit nix drin. Du glaubst auch an jeden Hokuspokus, Irmi, oder? So ein Placeboscheiß.«
    Bevor Irmi in eine Diskussion einsteigen konnte, dass die homöopathischen Globuli sogar bei ihren Kühen wirkten und die Rinder ja kaum im Verdacht standen, auf ein Placebo hereingefallen zu sein, kam Sailer.
    »Morgen, die Damen. Des wird heit nix mit Kaffeetrinken. Im Waldgut Braun is wer tot geworden.«
    Tot geworden – der gute Sailer.
    »Weiß man auch, wer tot geworden ist, Sailer?«
    »Ja, die Frau Regina von Braun höchstselber. Derschussen. Sauber derschussen. Ned derhängt oder so was Unguats.«
    Sauber derschussen – auch eine schöne Formulierung. Abgesehen davon war es für Irmi mehr als überraschend, dass der sonst so kryptische Sailer die komplette Information von sich gab, ohne dass sie ihm alles aus der Nase ziehen musste. Der Mann schien Montage zu mögen.
    »Wer hat uns informiert?«, fragte Kathi unter Niesen.
    »A Madl, das wo Kindergärtnerin ist. De Kinder ham de Frau g’funden.«
    Auch das noch! Ein verschreckter Haufen Kinder, die überall herumgetrampelt waren, dachte Irmi.
    »Na merci, Mausi«, kam es von Kathi.
    Irmi sparte sich eine Zurechtweisung, informierte stattdessen das Team von der Kriminaltechnischen Untersuchung und forderte die Polizeipsychologin an – wegen der Kinder und weil sie ein ungutes Gefühl hatte, das sie momentan schwer zu deuten wusste. Dann nickte sie Kathi zu und wies Sailer an, den Kollegen Sepp im Streifenwagen mitzunehmen. Seit Irmi und ihr altes Cabrio vom TÜV geschieden worden waren, fuhr sie einen japanischen SUV, und der hatte dank Blechdach natürlich den Vorteil, dass man ein Blaulicht draufsetzen konnte. Außerdem besaß er eine gewisse Bodenfreiheit, was bei den alpinen Einsätzen nicht von Nachteil war.
    Die Bodenfreiheit erwies sich heute als recht sinnvoll.
    Zwei Kilometer hinter Grainau war das Waldgut durch ein verwittertes Holzschild ausgewiesen. Die Teerdecke der Zufahrtsstraße war von Löchern durchsetzt, die gut und gern als Ententümpel hätten herhalten können. Auf den Tümpeln lag eine dünne Eisschicht, die unter den Autoreifen brach.
    Das Sträßchen mäandrierte durch den Wald. Es lagen noch immer Schneehaufen am Wegesrand, und Irmi vermutete, dass das Gut im Winter bisweilen von der übrigen Welt abgeschnitten war. Sie fand den Gedanken gar nicht so uncharmant, während Kathi böse nach vorne starrte und maulte: »Das ist voll am Arsch der Welt
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