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Pippi Langstrumpf

Pippi Langstrumpf

Titel: Pippi Langstrumpf
Autoren: Astrid Lindgren
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Mutter sagte. Annika murrte niemals, wenn sie nicht ihren Willen bekam. Sie sah immer ordentlich aus in ihren gebügelten Baumwollkleidern, und sie nahm sich sehr in acht, daß sie sich nicht schmutzig machte. Thomas und Annika spielten hübsch zusammen in ihrem Garten, aber sie hatten sich oft einen Spielkameraden gewünscht, und zu der Zeit, als Pippi noch mit ihrem Vater auf dem Meer herumsegelte, standen sie mitunter am Gartenzaun und sagten:
    „Zu dumm, daß niemand hier in dieses Haus zieht. Hier sollte jemand wohnen, jemand, der Kinder hat.“

    An dem schönen Sommerabend, als Pippi zum erstenmal die Schwelle der Villa Kunterbunt überschritt, waren Thomas und Annika nicht zu Hause. Sie waren für eine Woche zu ihrer Großmutter gereist. Sie hatten daher keine Ahnung, daß jemand in die Nachbarvilla eingezogen war, und als sie am ersten Tag nach ihrer Rückkehr an ihrer Gartentür standen und auf die Straße schauten, wußten sie noch nicht, daß so in ihrer Nähe ein Spielkamerad war.

    Als sie gerade überlegten, was sie anfangen sollten und ob vielleicht heute etwas Interessantes passieren würde oder ob es so ein langweiliger Tag werden würde, wo einem nichts einfiel, gerade da wurde die Gartentür zur Villa Kunterbunt geöffnet, und ein kleines Mädchen kam heraus. Das war das merkwürdigste Mädchen, das Thomas und Annika je gesehen hatten, und es war Pippi Langstrumpf, die zu ihrem Morgenspaziergang herauskam. Sie sah so aus:
    Ihr Haar hatte dieselbe Farbe wie eine Möhre und war in zwei feste Zöpfe geflochten, die vom Kopf abstanden. Ihre Nase hatte dieselbe Form wie eine ganz kleine Kartoffel und war völlig mit Sommersprossen übersät. Unter der Nase saß ein wirklich riesig breiter Mund mit gesunden weißen Zähnen. Ihr Kleid war sehr komisch. Pippi hatte es selbst genäht. Es war wunderschön gelb; aber weil der Stoff nicht gereicht hatte, war es zu kurz, und so guckte eine blaue Hose mit weißen Punkten darunter hervor. An ihren langen dünnen Beinen hatte sie ein Paar lange Strümpfe, einen geringelten und einen schwarzen. Und dann hatte sie ein Paar schwarze Schuhe, die genau doppelt so groß waren wie ihre Füße. Die Schuhe hatte ihr Vater in Südamerika gekauft, damit sie etwas hätte, in das sie hineinwachsen könnte, und Pippi wollte niemals andere haben. Worüber Thomas und Annika besonders die Augen aufsperrten, das war der Affe, der auf der Schulter des fremden Mädchens saß. Es war eine kleine Meerkatze mit blauen Hosen, gelber Jacke und einem Strohhut.

    Pippi ging die Straße entlang. Sie ging mit dem einen Bein auf dem Bürgersteig und mit dem anderen im Rinnstein. Thomas und Annika sahen ihr nach, solange sie sie sehen konnten. Nach einer Weile kam sie zurück. Aber jetzt ging sie rückwärts. Das tat sie, damit sie sich nicht umzudrehen brauchte, wenn sie nach Hause ging. Als sie vor Thomas’ und Annikas Gartentür angekommen war, blieb sie stehen. Die Kinder sahen sich schweigend an. Schließlich sagte Thomas:
    „Warum bist du rückwärts gegangen?“
    „Warum ich rückwärts gegangen bin?“ sagte Pippi. „Leben wir etwa nicht in einem freien Land? Darf man nicht gehen, wie man will? Übrigens will ich dir sagen, daß in Ägypten alle Menschen so gehen, und niemand findet das auch nur im geringsten merkwürdig.“
    „Woher weißt du das?“ fragte Thomas. „Du warst doch wohl nicht in Ägypten?“
    „Ob ich in Ägypten war? Ja, da kannst du Gift drauf nehmen! Ich war überall auf dem ganzen Erdball und habe noch viel komischere Sachen gesehen als Leute, die rückwärts gehen. Ich möchte wissen, was du gesagt hättest, wenn ich auf den Händen gegangen wäre wie die Leute in Hinterindien.“
    „Jetzt lügst du“, sagte Thomas.
    Pippi überlegte einen Augenblick.
    „Ja, du hast recht, ich lüge“, sagte sie traurig.
    „Es ist häßlich, zu lügen“, sagte Annika, die jetzt endlich wagte, den Mund aufzumachen.
    „Ja, es ist sehr häßlich, zu lügen“, sagte Pippi noch trauriger. „Aber ich vergesse es hin und wieder, weißt du. Und wie kannst du überhaupt verlangen, daß ein kleines Kind, das eine Mutter hat, die ein Engel ist, und einen Vater, der Negerkönig ist, und das sein ganzes Leben lang auf dem Meer gesegelt ist, immer die Wahrheit sagen soll? Und übrigens“, fuhr sie fort, und sie strahlte über ihr ganzes sommersprossiges Gesicht, „will ich euch sagen, daß es in Nicaragua keinen einzigen Menschen gibt, der die Wahrheit sagt. Sie lügen den
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