Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pilot Pirx

Pilot Pirx

Titel: Pilot Pirx
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
gehört, daß dieses neue Modell eine um 36 Prozent höhere Speicherkapazität hat als der AIBM 09. Das ist viel. Auf Grund des mir vorliegenden Materials kann ich sagen, daß es folgendermaßen zugegangen ist: Der Computer hat den normalen Landevorgang eingeleitet, und dann hat er angefangen, sich selbst die Arbeit zu komplizieren, indem er von den Untergruppen immer mehr Daten pro Zeiteinheit anforderte. Das ist etwa dasselbe, als wenn ein Kompaniechef immer mehr Leute aus dem Kampf abzöge, um Melder, Informatoren aus ihnen zu machen – dann wäre er gegen Ende der Schlacht vollendet informiert, nur daß er niemand mehr hätte, mit dessen Hilfe er kämpfen könnte. Der Computer ist nicht erstickt worden, sondern er hat sich selbst erstickt. Durch diese Eskalation hat er sich selbst blockiert, und das wäre auch bei einer zehnmal höheren Speicherkapazität geschehen, sofern er nicht aufhörte, die Anforderungen zu erhöhen. Mehr mathematisch ausgedrückt: Er hat seine Speicherkapazität in potenziertem Tempo reduziert, und infolgedessen hat das ›Kleinhirn‹ als engerer Kanal zuerst versagt. Die Verzögerungen traten im Kleinhirn auf und gingen dann auf den Computer selbst über. Als er sich in dem Zustand befand, in dem er keine Informationen mehr liefern konnte beziehungsweise aufgehört hatte, eine Maschine mit realen Zeitgrenzen zu sein, betäubte sich der Computer gewissermaßen selbst und mußte eine radikale Entscheidung treffen. Er traf also die Entscheidung zum Start, das heißt, er interpretierte die Störung als Folge einer drohenden Kollision.«
    »Er hat Meteoritenalarm gegeben. Wie erklären Sie sich das?« fragte Seyn.
    »Wie er von dem Hauptprozeß auf einen Nebenprozeß umschalten konnte, weiß ich nicht. Ich kenne mich im Aufbau dieses Computers nicht aus, wenigstens nicht genügend. Warum er diesen Alarm gab? Ich weiß es nicht. Jedenfalls steht für mich fest, daß er allein schuld war.«
    Nun mußte man wieder auf die Erde warten. Pirx war sicher, daß van der Voyt ihn angreifen würde, und er irrte sich nicht. Das schwere, fleischige Gesicht schaute ihn durch eine Rauchwolke an, weit weg und zugleich sehr nahe. Als van der Voyt zu sprechen begann, war sein Baß freundlich, und die Augen lächelten wohlwollend, mit der allwissenden Gutmütigkeit eines Lehrers, der sich an einen wacker parierenden Schüler wendet.
    »Also der Kommandant Pirx schließt Sabotage aus? Welche Anhaltspunkte hat er dafür? Was bedeuten die Worte ›er ist schuld‹? Wer – ›er‹? Der Computer? Der Kommandant Pirx hat doch selbst festgestellt, daß der Computer bis zum Schluß funktioniert hat. Und das Programm? Es unterscheidet sich in nichts von den Programmen, mit deren Hilfe der Kommandant Pirx mehr als hundertmal gelandet ist. Haben Sie in Erwägung gezogen, daß das Programm manipuliert worden sein könnte?«
    »Ich habe nicht die Absicht, mich zum Thema Sabotage zu äußern«, sagte Pirx. »Das interessiert mich vorläufig nicht. Wären der Computer und das Programm in Ordnung gewesen, dann stünde ›Ariel‹ jetzt unversehrt hier, und wir brauchten uns nicht zu unterhalten. Ich behaupte, gestützt auf die Bandaufzeichnungen, daß der Computer exakt und im Rahmen des richtigen Manövers gearbeitet hat, aber mit einer übertriebenen Perfektion, so als genügte ihm keine der erreichten Leistungen. Er hat mit wachsendem Tempo Daten über den Zustand der Rakete angefordert, ohne die Grenzen der eigenen Möglichkeiten und die Kapazität der äußeren Kanäle zu beachten. Warum er das machte, weiß ich nicht. Aber er hat es gemacht. Mehr habe ich nicht zu sagen.«
    Keiner der »Marsmenschen« entgegnete etwas. Pirx nahm mit steinerner Miene die Genugtuung zur Kenntnis, die in Seyns Augen aufblitzte, und auch die stumme Befriedigung, mit der Romani sich im Sessel aufrichtete. Acht Minuten später sprach wieder van der Voyt. Diesmal wandte er sich weder an Pirx noch an irgendein anderes Kommissionsmitglied. In einem einzigen Redeschwall schilderte er den Weg, den jeder Computer vom Montageband bis zur Steuerkabine eines Raumschiffs zurücklegte.
    Die Aggregate wurden von acht verschiedenen Firmen aus Japan, Frankreich und Amerika gebaut. Dann reisten die durch und durch leeren, wie Säuglinge »unwissenden« Elektronengehirne nach Boston, wo sie in der Syntronics Corporation programmiert wurden. Daraufhin unterzog man jeden Computer einer Prozedur, die in etwa einem aus der Vermittlung von »Erfahrungen« und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher