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Picknick mit Bären

Picknick mit Bären

Titel: Picknick mit Bären
Autoren: Bill Bryson
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die Nähe hält – indem er sich beispielsweise auf ein Schlafpodest bettet, unter dem kürzlich ein paar Mäuse herumgetollt sind. 1993 kamen durch eine einzige Hantavirusepidemie im Südwesten der Vereinigten Staaten 32 Menschen ums Leben, und im Jahr darauf forderte die Krankheit ihr erstes Opfer auf dem AT. Ein Wanderer hatte sie sich in einer »nagetierbefallenen Schutzhütte« zugezogen, wobei gesagt werden muß, daß alle Schutzhütten auf dem Appalachian Trail von Nagetieren befallen sind. Von den bekannten Viren garantieren nur noch die Tollwut, das Ebolavirus und das HIV einen sicheren Tod. Auch für das Hantavirus gibt es kein Gegenmittel.
    Zu guter Letzt gibt es immer noch die Möglichkeit, ermordet zu werden – wir leben schließlich in Amerika. Seit 1974 sind mindestens neun Wanderer auf dem AT ermordet worden, wobei die tatsächliche Zahl schwankt, je nachdem, welche Quelle man konsultiert und was man unter dem Wort Wanderer versteht. Während ich den AT entlang wanderte, starben jedenfalls zwei Frauen.
    Aus diversen praktischen Gründen, die im wesentlichen mit den langen, zermürbenden Wintern im nördlichen New England zu tun haben, stehen jedes Jahr nur entsprechend wenige Monate zum Wandern zur Verfügung. Beginnt man die Wanderung im Norden, am Mount Katahdin in Maine, muß man bis Ende Mai, Anfang Juni abwarten, damit aller Schnee geschmolzen ist. Beginnt man dagegen in Georgia und arbeitet sich Richtung Norden vor, gilt es, die Wanderung zeitlich so zu legen, daß man vor Mitte Oktober, wenn der erste Schneefall einsetzt, am Ziel angelangt ist. Die meisten wandern mit Beginn des Frühjahrs von Süden nach Norden und halten idealerweise immer einen Vorsprung von einigen Tagen vor der schlimmsten Hitze und den lästigen und Krankheiten übertragenden Insekten ein. Ich beabsichtigte, Anfang März im Süden aufzubrechen und rechnete sechs Wochen für die erste Etappe.
    Die Frage nach der exakten Länge des Appalachian Trail bleibt ein interessantes Rätsel. Der U.S. National Park Service, der sich immer wieder durch diverse Ungereimtheiten hervortut, bringt es fertig, die Länge des Weges in einem einzigen Prospekt mal mit 3.468 Kilometer, mal mit 3.540 Kilometer anzugeben. Die Appalachian Trail Guides, der offizielle Wanderführer, ein Schuber mit elf Büchlein, von denen jedes einen bestimmten Bundesstaat oder einen Abschnitt behandelt, spricht nach Belieben von 3.450, 3.455, 3.474 und einmal von »über 3459 Kilometern«. Die Appalachian Trail Conference legte 1993 die Länge des Wanderwegs auf genau 3.454,6 Kilometer fest, ging dann für ein paar Jahre zu der vagen Angabe »mehr als 3.460 Kilometer« über und kehrte erst kürzlich selbstbewußt zu der präzisen Angabe von 3.467,4 Kilometern zurück. Ebenfalls 1993 gingen drei Leute die gesamte Strecke mit einem Meßrad ab und kamen auf eine Distanz von 3.483,97 Kilometern. Ungefähr zur gleichen Zeit ergab eine sorgfältige Überprüfung, die auf Karten der U.S. Geological Survey basierte, eine Gesamtlänge von 3.408,98 Kilometern.
    Eins ist sicher: es ist ein langer Wanderweg, und er ist, egal, an welchem Ende man startet, weiß Gott nicht leicht. Die Gipfel entlang des Appalachian Trail sind nicht gewaltig, im Vergleich zu den Alpen etwa – der höchste, Clingmans Dome in Tennessee, erreicht gerade mal 2.042 Meter –, aber sie wollen dennoch erklommen werden, und es bleibt nicht bei einem Berg. Mehr als 350 Gipfel am AT sind über 1.500 Meter hoch, und in der Umgebung befinden sich noch einmal tausend weitere. Insgesamt veranschlagt man etwa fünf Monate und fünf Millionen Schritte, um von einem Ende des Trails zum anderen zu kommen.
    Natürlich muß man alles, was man unterwegs braucht, auf dem Rücken mitschleppen. Für andere mag das selbstverständlich sein, aber für mich war es ein kleiner Schock, als mir klar wurde, daß eine Wanderung entlang des AT nicht im entferntesten mit einem gemächlichen Spaziergang in den englischen Cotswolds oder im Lake District zu vergleichen ist, zu dem man mit einer Provianttasche aufbricht, die ein Lunchpaket und eine Wanderkarte enthält, und von dem man am Ende des Tages in eine gemütliche Herberge zurückkehrt, zu einem heißen Bad, einem herzhaften Abendessen und einem weichen Bett. Auf dem AT schläft man draußen und kocht sich sein Essen selbst. Kaum einem gelingt es, das Gewicht des Rucksacks auf weniger als 18 Kilogramm zu reduzieren, und wenn man so viel mit sich herumschleppt, spürt
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