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Paul's Blog

Paul's Blog

Titel: Paul's Blog
Autoren: Katrin Bongard
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an die große Glocke, aber ich bin voll drauf. Ich sammele täglich Materie, Feuer, Eis, kaufe Soma und Äther und meine besten Freunde heißen Areal und Genesis. Die Animation ist der Hammer. Ich lebe in einer parallelen Welt. Allerdings bin ich etwas irritiert, dass ich so etwas von meinem Vater bekomme. Vielleicht hat seine neue Freundin ihm gesteckt, dass Bücher über die französische Revolution oder die Resistance für mich entbehrlich sind. Nicht, dass so etwas mich nicht auch manchmal interessieren würde. Vielleicht sogar etwas mehr, wenn sie einem in der Schule nicht dauernd mit diesen Dingen belästigen würden. Ich fürchte, ich brauche nach der Schule ein Jahr, um überhaupt wieder Lust auf Wissen zu haben. Er denkt, nein, er ist sich sicher, dass ich studiere. Ich will aber reisen, oder mehr Bouldern oder sonstwas machen. Ich kriege echt Panik bei dem Gedanken, dass mein Leben um ist und ich nur über irgendwelchen Arbeiten oder Texten oder Büchern gehockt habe. Wie mein Vater. Er ist Journalist, aber er sitzt nur zu Hause rum.
    Außerdem ist das Leben kurz. Sehr kurz. Was mich an das erinnert, was ich eigentlich bloggen wollte.
    Ich habe einen Toten gesehen.
    Ich wollte Bauer besuchen und habe im Heim Hans getroffen. Er schleppte mich in ein Zimmer und da lag der Typ. Tot. Irgendwie sah er gar nicht mehr wie ein Mensch aus. So ledrig und leer.
    - Er ist noch nicht zurecht gemacht, meinte Hans.
    Ich war etwas überfordert und dann geschockt, dass der alte Mann so allein in einer Abstellkammer lag. Wo sind die Angehörigen, wieso sitzen sie nicht an seiner Seite und – keine Ahnung – passen auf ihn auf?
    Als Hans merkte, dass mir übel wird, sind wir in die Cafeteria gegangen. Ich habe es nicht mehr geschafft, an dem Tag zu Bauer zu gehen. Hans wird mich entschuldigen. Und essen konnte ich auch nichts.
    Der Mann ist gerade gestorben.
    Also wenn ich sterbe, dann soll jemand an meiner Seite bleiben. Totenwache. Ich will nicht so allein rumliegen. Auch wenn die Seele oder was auch immer schon weg ist.
    Mann, das hat mich echt mitgenommen. Seit ich den Toten gesehen habe, fällt es mir noch schwerer, jeden Tag zur Schule zu gehen. Das ist Lebenszeit!
    Ich habe einen Toten gesehen und ich merke, wie blöd es ist, vor irgendetwas Angst zu haben. Sich überhaupt Sorgen zu machen oder sich über etwas zu ärgern. Am Ende liegt man in einer Abstellkammer und ist allein. Ich muss was aus meinem Leben machen. Das ist absolut wichtig!
    Ich will mehr erleben.
    Ich sollte sofort damit anfangen.

Februar 2009

    Nach dem Tod
    February 20, 2009 at 3:39pm
    Wenn ich wüsste, dass ich nur noch 6 Monate zu leben habe, würde ich dann meinen Moped-Führerschein machen? Würde ich noch zur Schule gehen? Würde ich mich sofort in einen Zug setzen und in der Gegend rumreisen? Und was wäre, wenn ich noch ein Jahr zu Leben hätte?? Das einzige, was mir einfällt, hartnäckig einfällt, sich richtig in meinem Kopf einnistet, ist, dass ich dann sofort versuchen würde, mit Feli zusammen zu kommen. Nein, nicht, um vor dem Sterben wenigstens einmal richtig Sex gehabt zu haben - sehr witzig - sondern weil es zu zweit bestimmt leichter ist, auf den Tod hinzuleben.
    Aber seit ich das gedacht habe, wird mir klar, dass 80 Jahre auch nicht gerade brüllerlang sind in einem Universum, das schon seit Milliarden von Jahren existiert. Seitdem konzentriere ich mich darauf, es wirklich mit Feli hinzukriegen, aber ich glaube, jetzt läuft sie vor mir weg. Jedesmal, wenn ich sie in der Schule sehe, weicht sie mir aus. Ich habe Theo gefragt, was sie hat, und er meinte: Du hast sie ja auch ziemlich blöd behandelt. Hä?
    Ich bin dann einfach zu ihrer WG gelaufen (so nach dem Motto, ich war gerade in der Gegend), habe sogar geklingelt, aber sie war unterwegs. Dieser Blödmann von Mitbewohner hat nur gegrinst, als wäre ich der letzte Idiot. Also wenn Feli denkt, ich mache mich komplett zum Idioten, bloß damit sie mal wieder mit mir redet, dann kann sie es vergessen.
    Gestern habe ich den Nachmittag bei Bauer gesessen. Er war ziemlich verwirrt (Alzheimer?), da er am Wochenende von seiner Familie zu einer Familienfeier abgeholt wird. Ich glaube, er hat überhaupt keine Lust, da hinzugehen. Aber die Familien denken immer, sie müssen ihre Angehörigen mal raus holen aus dem schrecklichen Altersheim. Ja, warum tun sie ihre Verwandten dann überhaupt da rein?
    In der Cafeteria habe ich Hans getroffen. Das war mein Plan, ich wollte ihn über Feli
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