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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
Autoren: Tad Williams
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im Kopf gemacht. Oder vielleicht hat ein Gott ihren Blick umnachtet, so daß sie die Wahrheit nicht sehen kann.«
    »Oder vielleicht bin ich einfach verloren«, murmelte Paul. »Vielleicht bin ich dazu verurteilt, ewig umherzuirren.«
    Die alte Frau schnalzte mit der Zunge. »Du solltest vorsichtig mit deinen Worten sein, Odysseus. Die Götter hören alles.«
     
    Er lag zusammengerollt auf der gestampften Erde des Küchenfußbodens. Die Sonne war untergegangen, und der kalte Nachtwind vom Meer pfiff durch das große, zugige Haus. Die angenehme Wärme des Backofens, die von den Steinen abstrahlte, versöhnte ihn völlig mit der Asche und dem Schmutz um ihn herum, doch selbst die Tatsache, daß er es warm hatte, statt irgendwo draußen frieren zu müssen, war kein großer Trost.
    Denk doch mal nach, sagte er sich. Im Grunde wußtest du genau, daß es nicht so leicht werden würde. Die Dienerin sagte: »Vielleicht hat ein Gott ihren Blick umnachtet.« Könnte es das sein? Irgendein Zauber oder sowas? Es gab in dieser Welt so viele Möglichkeiten, und an handfesten Tatsachen wußte er nur das wenige, was Nandi Paradivasch, mit vielen bewußten Auslassungen, ihm erzählt hatte. Paul war als Kind im Lösen von Rätseln oder in Strategiespielen nie besonders gut gewesen, hatte viel lieber vor sich hingeträumt, jetzt aber verfluchte er dieses Kind, das er gewesen war, für seine Trägheit.
    Aber niemand würde ihm diese Arbeit abnehmen.
    Während Paul darüber nachsann, was aus ihm geworden war – eine denkende Figur, vielleicht die einzige, auf diesem großen Spielbrett des Homerischen Griechenland –, kam ihm, gedämpft und doch mächtig wie ferner Donner, eine Erkenntnis. Ich gehe das völlig falsch an. Ich denke über diese Simwelt nach, als ob sie real wäre, obwohl sie bloß eine Erfindung ist, ein Spielzeug. Aber ich muß sie als Erfindung begreifen lernen. Welche Spielregeln gelten hier? Wie funktioniert dieses Netzwerk tatsächlich? Warum bin ich Odysseus, und was soll hier mit mir geschehen?
    Er versuchte angestrengt, sich an seinen Griechischunterricht in der Schule zu erinnern. Wenn diese Simwelt sich um die lange Fahrt aus Homers Odyssee drehte, dann konnte das Haus des Königs auf Ithaka nur am Anfang der Geschichte vorkommen, beim Aufbruch des Irrfahrers, oder am Schluß, bei seiner Rückkehr. Und auch wenn dieser Ort noch so realistisch war – wie alle Simwelten, in die es ihn bisher verschlagen hatte –, real war er trotzdem nicht: Vielleicht konnte einfach nicht jede Eventualität einprogrammiert werden. Vielleicht gab es sogar für die Besitzer des Otherlandnetzwerks finanzielle Grenzen. Das würde bedeuten, daß es eine endliche Anzahl von Verhaltensmöglichkeiten geben mußte, begrenzt zum Teil dadurch, was die Replikanten verstehen konnten. Irgendwie hatte Pauls Erscheinen hier in der Frau, die derzeit Penelope hieß, verschiedene gegensätzliche Reaktionen ausgelöst.
    Aber wenn er widersprüchliche Verhaltensweisen auslöste, warum hatte die Dienerin Eurykleia ihn dann sofort als verkleideten und nach langer Abwesenheit heimgekehrten Odysseus erkannt, ohne ein einziges Mal an dieser Erkenntnis irre zu werden? Damit folgte sie weitgehend der Originalvorlage, sofern er sich auf seine Lektüre vor langer Zeit verlassen konnte. Warum also sollte die Dienerin richtig reagieren und die Herrin des Hauses nicht?
    Weil sie verschiedenen Kategorien angehören, begriff er. Es gibt in diesen Simulationen nicht bloß zwei Typen von Personen, echte und falsche, es gibt wenigstens noch einen dritten Typ, auch wenn ich nicht weiß, was es damit auf sich hat. Gally war einer von diesem dritten Typ. Die Vogelfrau, Vaala oder Penelope, oder wie sie in Wirklichkeit heißen mag, muß auch eine sein.
    Das klang fürs erste halbwegs logisch. Die Replikanten, die restlos Teil der Simulationen waren, hatten keinerlei Zweifel daran, wer sie waren oder was um sie herum geschah, und verließen die Welten, für die sie geschaffen worden waren, anscheinend niemals. Im Grunde verhielten sich Reps wie die alte Dienerin so, als ob sie und die Simulationen vollkommen real wären. Sie waren zudem gut programmiert; wie erfahrene Schauspieler gingen sie über Patzer und Unsicherheiten der menschlichen Teilnehmer einfach hinweg.
    Am anderen Ende des Spektrums waren sich die richtigen Menschen, die Bürger, immer darüber im klaren, daß sie sich in einer Simulation befanden.
    Aber es gab offenbar noch einen dritten Typ, Figuren wie
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