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Ophran 3 Die entflohene Braut

Titel: Ophran 3 Die entflohene Braut
Autoren: Karyn Monk
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allmorgend- lich Tausende Kohlenfeuer in den Häusern entfacht wurden, um die Kälte der Nacht zu vertreiben und die Zubereitung der Mahlzeiten zu ermöglichen. Die milde Nachtluft hatte den Rauch des Tages jedoch wie unter einer Glocke gefangen gehalten, wo er sich mit dem Gestank der unzähligen Pferdeäpfel verband, die täglich auf den Straßen landeten, und den Abwässern der Häuser, die ebenso reichlich in die grauen, stinkenden Fluten der Themse flossen.
    Es fehlte nicht viel, und Jack hätte sich in die vom schwülen Blütenduft erfüllte Kirche zurückgewünscht.
    Er reckte und streckte sich, um seine verspannten Muskeln zu lockern, wobei er darauf achtete, die schlummernde Miss Belford nicht zu wecken. Sie schlief bereits seit Stunden und war dabei immer weiter vornüber gesackt, bis Jack sie schließlich hatte auffangen müssen, ehe sie vollends von ihrem Sitz gerutscht war. Sie hatte sich daraufhin an seine Brust geschmiegt, offenbar eine weit bequemere Unterlage als das kratzige Kissen aus perlenbesticktem Satin, an das sie sich zuvor gelehnt hatte. Da er sie nicht hatte wecken wollen, sie von der gegenüberliegenden Bank aus jedoch nicht lange hätte stützen können, hatte Jack sich neben sie gesetzt, woraufhin sie so weit in sich zusammengesunken war, dass ihre kleinen bestrumpften Füße eng an ihrem Körper lagen und ihr Haar sich wie eine wellige Flut über Jacks Schoß ergoss.
    Eine geraume Weile lang saß er stocksteif da. Er war es nicht gewohnt, dass eine Frau sich im Schlaf so vertrauensvoll an ihn schmiegte. Ihm kam in den Sinn, dass seine diesbezüglichen Erfahrungen mit Frauen recht beschränkt waren. Es hatte ihm nie an sinnlichen Vergnügungen gemangelt, doch er bevorzugte die Gesellschaft von Frauen, denen er in der Fremde begegnete. Sie neigten dazu, ihn als angenehme, doch flüchtige Zerstreuung zu betrachten, was ihre Erwartungen an ihn wohl minderte, wie er vermutete. Ihnen lag nichts daran, die verschlungenen Wurzeln seiner Vergangenheit auszugraben. Die vornehmen jungen Damen in Schottland und England dagegen ließen ihn nie seine schändliche Herkunft vergessen.
    Seit er in Genevieves Obhut gekommen war, hatte er nach Kräften versucht, etwas Besseres aus sich zu machen, sich zu einem Mann zu entwickeln, der keinerlei Ähnlichkeit mehr hatte mit dem schmutzigen, ungebildeten, zornigen kleinen Dieb, den sie vor gut zweiundzwanzig Jahren aus dem Kerker von Inverardy gerettet hatte. Es war ein langer, mühsamer Kampf gewesen. Genevieve und Haydon hatten alles in ihrer Macht Stehende getan, um ihn bei seiner Verwandlung zu unterstützen. Nachdem sie ihn eine Zeit lang selbst unterrichtet und allmählich seine Lust am Lernen geweckt hatte, die zuvor hinter einer Fassade überheblicher Gleichgültigkeit verborgen gewesen war, hatte Genevieve beschlossen, er sei gescheit genug, um die Universität zu besuchen. Doch zuvor musste er eine ganze Reihe sterbenslangweiliger Tutoren ertragen, die es beinahe geschafft hätten, die Flamme der Wissbegier zu ersticken, die Genevieve so geduldig in ihm entfacht hatte. Er war bestenfalls ein leidlich guter Schüler, denn er hatte erst im Alter von fast fünfzehn Jahren lesen und schreiben gelernt und tat sich noch immer ein wenig schwer damit. Griechisch und Latein hatte er gehasst und nie begriffen, wozu diese beiden alten Sprachen ihm je nützlich sein sollten. Doch er konnte gut mit Zahlen umgehen und mochte Geschichte und Kunst, zwei besondere Leidenschaften Genevieves.
    Schließlich hielt man ihn für ausreichend vorbereitet, die St. -Andrews-Universität zu besuchen, wo ihn sowohl seine Professoren als auch seine Studiengenossen offen verachteten. Dass er der Ziehsohn des Marquess und der Marchioness of Redmond war, beeindruckte die herrischen Söhne des englischen und schottischen Adels wenig. Sie waren dazu erzogen worden, am Altar ihrer eigenen Überlegenheit zu beten und aus den niederen Schichten stammenden „Abschaum“ wie ihn zu verabscheuen. Zum Glück hatten die langen Jahre auf der Straße ihn hinreichend unempfindlich gegenüber ihrer Geringschätzung gemacht, der er mit ebenso kühler Verachtung begegnete. Er war groß und kräftig und flink mit den Fäusten, was ihm in seinem ersten Jahr dort einen zeitweiligen Verweis einbrachte, jedoch den Vorteil hatte, ihm den Ruf eines Straßenkämpfers einzubringen. Danach wagten nur noch wenige, sich mit ihm anzulegen, und er konnte sich relativ unbehelligt durch sein restliches Studium
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