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Opfermal

Opfermal

Titel: Opfermal
Autoren: G Funaro
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seinen Wagen zu stoßen versucht. Aber Michelle Markham wehrte sich, trat ihm in den Unterleib und biss ihn heftig in den Unterarm. Sie riss ihm außerdem die Skimaske vom Kopf, und Stokes sagte, da sei er in Panik geraten, sagte, er habe »dem Miststück zweimal in die Kokosnuss geschossen« mit seiner 38er und sei geflohen. Zwei Tage später hatte ein anderer Künstler in dem Badeort die Bissspuren an seinem Unterarm gesehen und die Polizei verständigt. Sie fanden die Skimaske und die Tatwaffe in Stokes’ Wagen. Er gestand alles, und man wies ihm schließlich neun Vergewaltigungen in vier Bundesstaaten nach, die sich über ein ganzes Jahrzehnt erstreckt hatten.
    Die Tatsache, dass seine Frau der einzige Mord des Lächelnden Shantysängers gewesen war, stellte keinen Trost für Sam Markham dar, der sie tot auf dem Parkplatz des Mystic Aquarium gefunden hatte, nachdem sie an jenem Abend nicht nach Hause gekommen war. Seine glückliche, nur zwei Jahre währende Ehe, sein idyllisches Leben in der kleinen Stadt Mystic – alles war auf einen Schlag zerstört. Er brauchte ein Jahr, um das Kielwasser des Todes seiner Frau zu durchqueren, dessen Wellenschlag ihn schließlich an die Küste des Federal Bureau of Investigation spülte.
    Gates hat recht, dachte Markham, als das Flugzeug seine Reisehöhe erreicht hatte. Das Überlagerungsprinzip. So hatte er Jackson Briggs gefangen, den Mann, den die Presse den »Sarasota-Würger« nannte. Und deshalb wusste Markham, dass die einzige Gerechtigkeit für Elmer Stokes ebenfalls im Überlagerungsprinzip lag. Schließlich konnte ein primitiver Typ wie Stokes niemals die Totalität seiner Verbrechen begreifen, es sei denn, er erlebte, was seine Opfer erlebten. Und genau wie Michelle würde der Schweinehund mit zwei Kugeln im Kopf auf der anderen Seite herauskommen, mit schönem Gruß von Sam Markham.
    Markham fantasierte oft davon, wie er Stokes tötete. Meist sah er sich selbst als Jackson Briggs und Stokes dann als die Opfer des Sarasota-Würgers. Was Briggs seinen kleinen alten Damen angetan hatte, wäre perfekt geeignet für Elmer Stokes, und Markham selbst würde den dreckigen Hurensohn nicht anrühren müssen. Dass Markham diese Fantasien, in denen er Briggs spielte, so genoss, störte ihn am meisten – es war eine Mischung aus Hochgefühl und Scham, wenn er im Geiste auf den Kadaver des Lächelnden Shantysängers hinuntersah. Briggs hatte seine kleinen alten Damen zwar nicht mit Kugeln erledigt, doch damit das Überlagerungsprinzip funktionierte …
    Aber natürlich konnte nichts von dem je geschehen.
    Markham sah in den grauweißen Nebel hinaus, die flüchtigen braunen und weißen Flecken, die durch die tief hängenden Wolken brachen, waren wie Erinnerungen, die von der Welt unter ihnen nach oben geschickt wurden. Er dachte an Michelles Eltern, die sich in den elf Jahren seit der Ermordung ihrer Tochter im Täter-Opfer-Ausgleichsprogramm Connecticuts engagiert hatten. Markham wusste, sie hatten sich über einen Mediator wenigstens zweimal mit Stokes getroffen und viele Male mit ihm korrespondiert. Er verstand das Bedürfnis seiner Schwiegereltern nach einem Abschluss, aber er verstand nie, warum sie die Briefe des primitiven Schweins immer an ihn weiterleiteten.
    Noch weniger verstand er, warum er sie jedes Mal las.
    Er öffnete das braune Kuvert und nahm die Akten heraus. Obenauf lag der Brief von Stokes, zusammen mit einem Ausdruck von CNN .com über die bevorstehende Hinrichtung – erst die zweite in Connecticut nach fast fünfundvierzig Jahren segensreicher Resozialisierung. Markham knüllte den Artikel zusammen und warf ihn auf den leeren Sitz auf der andern Seite des Gangs. Aber wie immer las er den Brief.
    Liebe Mr. und Mrs. Keefe, dieser Brief hier wird wahrscheinlich der letzte sein, den ich schicke, glaube ich. Er wird auch der kürtzeste sein, glaube ich, weil ich nur noch mal Danke sagen wollte, weil sie sich mit mir getroffen haben und dass es mir leidtut, was ich Ihrer Tochter angetan habe. Ich hab es verdint zu sterben, weil ich ihr das angetan habe und villeicht auch wegen dem, was ich diesen andern Frauen angetan habe. Ich hoffe Sie wissen, dass ich sterben will, weil ich es verdine, dass sie sich alle besser fühlen. Ich weiß, ich komm nicht in den Himmel, aber wenn ich es täte, würde ich mich dort oben bei Ihrer Tochter entschuldigen, denn ich weiß, dass sie dort jetzt wohnt. Aufrichtig, Ihr Elmer Stokes
    Markham fuhr mit dem Zeigefinger über
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