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Oma dreht auf

Oma dreht auf

Titel: Oma dreht auf
Autoren: Janne Mommsen
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sich unter der Dusche mit Johannes geliebt hatte. Es fühlte sich wie gestern an. Doch da stellte Frau Bösinger den Hahn auch schon wieder aus, offensichtlich reichte es.
    Ersatzkleidung hatte sie auch schon bereit gelegt: eine viel zu weite Jogginghose, die Herrn Bösinger gehören musste, und ein weißes T-Shirt, ebenfalls mit einem stilisierten Fisch darauf.
    «Malen Sie Ihre Zehen immer so an?», fragte Frau Bösinger.
    Imke starrte auf ihre quietschgrünen Nägel. Am liebsten wäre sie sofort abgehauen, aber dann würden die Bösingers bestimmt die Polizei rufen. Es war taktisch klüger, nett zu sein, ein bisschen Kuchen zu essen und sich dann höflich zu verabschieden.
     
    Herr Bösinger wartete bereits am gedeckten Kaffeetisch im sonnenbeschienenen Garten auf sie. Hier hinterm Haus war es windgeschützt und damit etliche Grad wärmer als auf der Seeseite, wo der Nordseewind heftig blies.
    «Machen Sie hier Urlaub?», erkundigte sich Herr Bösinger in fröhlichem Plauderton. Was wie ein nettes Gespräch klingen sollte, fühlte sich an wie ein Verhör.
    «Nein, ich wohne auf Föhr.»
    «Ah, das ist ja interessant … Dann war das ein Tagesausflug?»
    Imke konnte sich jetzt deutlich erinnern, warum sie heute Morgen das Weite gesucht hatte.
    «Ich hatte Putzdienst.»
    «Sie wohnen in einem Heim?»
    Müsste sie dann putzen?
    «Nein, in einer Kommune.»
    Vermutlich war es die falsche Vokabel, aber ihr fiel das richtige Wort nicht ein.
    «Mit freier Liebe?», Herr Bösinger lachte nervös.
    Imke spielte am Henkel ihrer Kaffeetasse herum. Wie kam sie hier bloß wieder raus?
    «Ja», antwortete sie provokativ.
    «Friedrich, die Zwillinge!», wies Frau Bösinger ihren Mann zurecht. Das Ehepaar warf sich verstohlene Blicke zu, als wüssten sie nun endgültig, dass Imke abgehauen war. Freie Liebe in ihrem Alter, da konnte etwas nicht stimmen.
    Nun nickte Frau Bösinger ihrem Mann auffordernd zu.
    «Ich möchte vor dem Essen ein Gebet sprechen», sagte er.
    «Nichts dagegen», sagte Imke, obwohl sie sich schon wunderte. Bisher kannte sie, wenn überhaupt, Tischgebete nur zu den Hauptmahlzeiten.
    Herr Bösinger hob mit geschlossenen Augen die Arme Richtung Himmel, und seine Frau gab ein Zeichen, dass Sie nun alle die Augen zu schließen hätten.
    «Lieber Herrgott», begann er, «Vater, du hast deinen Sohn Jesus Christus auf diese Erde gesandt, um uns alle zu erlösen. Dafür möchte ich dir danken. Ich möchte dir auch danken für den Kuchen, die Sahne, dieses Ferienhäuschen …»
    Imke nahm an, dass das hier länger dauern würde, also öffnete sie vorsichtig die Augen. Genau darauf hatten die Zwillinge gewartet, sie zwinkerten ihr fröhlich zu. Doch ihre Mutter, die schon so etwas geahnt hatte, öffnete nun ihrerseits die Augen und blinzelte empört dazwischen. Da sie das Gebet nicht unterbrechen durfte, blieb ihr nur die Pantomime mit angestrengt zusammengekniffenen Augen, unter besonderer Einbeziehung ihrer starken dunklen Brauen.
    «… und danke, dass du uns Imke Riewerts geschickt hast …»
    Imke horchte erschrocken auf: Hielten die Bösingers sie für eine Gesandte Gottes? In was für einer Sekte war sie hier gelandet?
    «… bitte schenke uns deinen Segen. Amen.»
    Herr Bösingers Mondgesicht, das beim Beten ganz verkniffen ausgesehen hatte, schnellte in seine ursprüngliche Form zurück und strahlte nun zufrieden in die Runde. Die Familie fasste sich an den Händen, ohne Imke auszuschließen, dann riefen sie laut «Guten Appetit» und ließen sich wieder los.
    «Und nach dem Kaffee bringen wir Sie nach Hause», sagte Herr Bösinger.
    «Kommt gar nicht in Frage!», protestierte Imke, «ich nehme mir ein Taxi zur Fähre.»
    «Haben Sie denn Geld bei sich?»
    Das war leider ein guter Einwand.
    «Nein.»
    Mist, sonst verließ sie das Haus nie ohne Portemonnaie.
    «Ich übernehme das gerne», gab sich Herr Bösinger generös. Offenbar sollte sie das beruhigen, dabei fühlte sich Imke den Bösingers vollkommen ausgeliefert, was die irgendwie zu genießen schienen. Die ganze Zeit taten sie so, als sei sie ein Gast, den sie eingeladen hatten. Andererseits hätte es Imke schlimmer treffen können; beim Anblick einer fremden Frau im eigenen Schlafzimmer hätten andere sofort die Polizei gerufen.
    Bösingers taten das nicht, sondern fotografierten sie stattdessen nach dem Kaffeetrinken von allen Seiten. Leider gehörte Imke nicht zu der Sorte Senioren, die ihre Eitelkeit schon vor dem Ableben begraben hatten. Im
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