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Offene Rechnungen

Offene Rechnungen

Titel: Offene Rechnungen
Autoren: Jacobsen Harald
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Brüstung.
»Passen Sie bloß auf, Herr Reuter. Ich möchte nicht einen weiteren Beamten auf diese Weise verlieren«, mahnte Wolter ihn mit spürbarer Anspannung.
Vor Wolters innerem Auge entstand die Schlagzeile über den zweiten Unglücksfall, bei dem ein Hauptkommissar aus seinem Zuständigkeitsbereich zu Tode kam. Das könnte leicht das vorzeitige Ende all seiner Pläne in politischer Hinsicht bedeuten.
Reuter richtete sich wieder auf und strich eine Strähne seines halblangen, schwarzen Haares zurück. In seinen grünen Augen lag ein nachdenklicher Zug, während er weiter die Brüstung anschaute.
»Sie halten bisher auch einen Unfall für nicht ausgeschlossen, Frau Helmholtz?«
Esther nickte bestätigend, da sie nach ihrer Auffassung einen Unfall nicht absolut ausschließen konnte.
»Gab es Anzeichen dafür, dass Hauptkommissar Wiese suizidgefährdet war?«
»Um Himmels willen, nein! Ralph und ich haben sechs Jahre zusammen Dienst gemacht. Er hing an seinem Leben und war glücklich verheiratet.«
Esthers Stimme klang so wütend, wie sie war.
»Nun, wenn es kein Selbstmord war, bleibt nur noch Mord über. Einen Unfall können wir ausschließen«, stellte Reuter mit spröder Stimme fest.
Ihm war schleierhaft, wieso die Rendsburger Kollegen nicht selbst zu dieser Erkenntnis gekommen waren.
Esther und der Staatsanwalt tauschten einen verblüfften Blick aus, während Simon neugierig den Ausführungen folgte. Ausnahmsweise teilte er im Stillen die Auffassung des Hauptkommissars aus Kiel.
»Erklären Sie uns auch, wieso Sie sich da so sicher sind, Herr Reuter?«, wollte Clemens Wolter erfahren.
»Deswegen«, lautete die knappe Antwort, während Reuter sich erneut gefährlich weit über die Brüstung hinauslehnte.
»Hauptkommissar Wiese und ich haben nahezu die gleiche Körpergröße sowie ein vergleichbares Gewicht. Um über diese Brüstung abzustürzen, musste er sich verdammt anstrengen oder wurde gestoßen. Fragen Sie Dr. Vester, wenn Sie mir nicht glauben.«
Alle Blicke gingen zu Simon, der zustimmend nickte.
»Die Einschätzung von Hauptkommissar Reuter ist absolut stimmig.«
»Haben Sie sich keine Gedanken über eine entsprechende Rekonstruktion gemacht, Frau Oberkommissarin?«, fragte Reuter anzüglich.
Esther Helmholtz sah zu Recht sehr betroffen aus, wie Simon eingestehen musste. Der Kollege vom LKA hatte innerhalb einer dreiviertel Stunde zwei wesentliche Punkte herausgefunden, die sie in zwei Tagen nicht entdeckt hatte.
     
    *
     
    Frank Reuter saß lässig im Besucherstuhl vor Clemens Wolters Schreibtisch. Der Staatsanwalt konnte den Ermittler vom Landeskriminalamt nicht wirklich einschätzen, aber die ersten Ergebnisse beeindruckten ihn schon.
»Was sagen Sie zu den bisherigen Ermittlungen, Herr Reuter?«
Der Hauptkommissar wog die Ermittlungsakte in seiner Rechten, dann warf er sie mit einem gezielten Wurf in den Mülleimer neben dem Schreibtisch.
»Was machen Sie denn da?«, entfuhr es Clemens.
»Das ist keine Ermittlungsakte, Herr Wolter. Bestenfalls eine Aufstellung von Fakten, die jeder Polizeischüler in ähnlicher Weise hätte zusammentragen können. Oberkommissarin Helmholtz ist mit den Ermittlungen eindeutig überfordert. Wieso haben Sie nicht von Anfang an einen erfahrenen Ermittler hinzugezogen?«
Clemens wusste, dass er es hätte tun müssen und für dieses Versäumnis noch zur Rechenschaft gezogen werden würde. Dazu stand er. Was er jedoch nicht wollte, war sich von einem Kriminalbeamten solche Fragen stellen zu lassen.
»Meine Entscheidung, Herr Hauptkommissar. Ab sofort übernehmen Sie die Ermittlungen und Frau Helmholtz wird Sie unterstützen.«
Reuter zuckte gleichmütig mit den Achseln und erhob sich.
»Meinetwegen können Sie die Kollegin gerne auf andere, einfachere Fälle ansetzen. Ich komme allein besser weiter.«
Clemens spürte Unmut über das arrogante Verhalten des Kielers in sich aufsteigen.
»Befolgen Sie einfach meine Anweisungen, Herr Reuter. Frau Helmholtz ist weiterhin Teil der Ermittlungen. Verstanden?«
»Wie Sie meinen, Herr Staatsanwalt.«
Ohne sich zu verabschieden, verließ der Mann vom LKA das Büro. Wolter lehnte sich seufzend zurück und hatte das ungute Gefühl, dass sein Kollege aus Kiel ihm ein wahres Kuckucksei ins Nest gelegt hatte. Frank Reuter hatte eine dunkle Vergangenheit, über die man jedoch nur wenige Informationen erhielt. Als leitender Ermittler hatte er eine verdeckte Operation gegen Menschenschmuggler aus dem Osten geleitet. Kurz vor dem
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