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Normal: Gegen die Inflation psychiatrischer Diagnosen (German Edition)

Normal: Gegen die Inflation psychiatrischer Diagnosen (German Edition)

Titel: Normal: Gegen die Inflation psychiatrischer Diagnosen (German Edition)
Autoren: Allen Frances
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amerikanischen Lektor Peter Hubbard, meinen deutschen Lektoren Laurenz Bolliger und Tanja Rauch sowie meinem holländischen Lektor Michiel ten Raa danke ich für zahlreiche wichtige Anregungen. Und vor allen anderen danke ich meiner Frau Donna – einer großartigen Leserin, die mich zum besseren Autor gemacht hat.

 
    NACHWORT
VON GEERT KEIL
     
    Dieses Buch ist in weiten Teilen eine Streitschrift. Der Streitgegenstand ist das Ausmaß, in dem Ärzte ihren Patienten psychische Erkrankungen bescheinigen. Allen Frances sieht eine inflationäre Ausweitung am Werk und befürchtet für die Zukunft eine Hyperinflation. Sein Streitgegner sind vornehmlich die pharmazeutische Industrie und die Autoren der aktuellen Auflage der »Bibel der Psychiatrie«, des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders ( DSM -5). Die Einflüsse beider Akteure seien durchaus unterschiedlich, aber ergänzten einander auf fatale Weise: Das aktuelle DSM -Handbuch weite die Diagnosemöglichkeiten gegenüber seinen Vorgängern aus, indem es die Schwellen für einige psychische Störungen herabsetzte und neue Störungen einführte, die nach Frances noch in den Bereich der Normalität fallen. Die Pharmaindustrie nutze diese Ausweitungen und alle definitorischen Unklarheiten zu ihren Gunsten aus: Großes Geld wird vor allem auf dem Massenmarkt verdient, also zielt das Marketing darauf ab, möglichst viele Menschen zu Patienten zu machen, die mit Psychopharmaka behandelt werden müssen. Die weiteren Akteure des Gesundheitssystems – Ärzte, Kliniken, Patienten, Apotheker, Verbände und andere Interessengruppen − spielen mit, weil sie von der Diagnoseinflation ökonomisch oder anderweitig profitieren oder weil sie nicht stark genug sind, Widerstand zu leisten. Eine unrühmliche Figur gibt nach Frances die Politik ab, die die rechtlichen Rahmenbedingungen nicht eng genug setzt.
    So weit, so schlecht. Frances’ Klage klingt wohlvertraut, seine Streitschrift fällt in das Genre der harschen Pharma-, Medizin- und Psychiatriekritik, mit der sich der »medizinisch-industrielle Komplex« in den westlichen Demokratien seit Langem konfrontiert sieht. Aber langsam. Frances’ Buch weist gegenüber anderen Streitschriften eine Reihe von Besonderheiten auf, die man in dieser Kombination noch nicht gelesen hat.
    – Zunächst: Die Kritik stammt von einem hochrenommierten Insider der Psychiatrie. Frances weiß, wovon er spricht. Unter seiner Federführung ist die 1994 veröffentlichte Vorgängerversion IV des DSM -Handbuchs entstanden, die nun durch das DSM -5 abgelöst wird. Die New York Times hat Frances seinerzeit »den einflussreichsten Psychiater Amerikas« genannt.
    – Menschen, die in verantwortlicher Position tätig waren, finden im Alter häufig, dass ihre Nachfolger alles schlechter machen. Diese psychologisierende Erklärung verfängt aber hier nicht. Des Autors J’accuse mischt sich mit einem Mea culpa : Frances berichtet selbstkritisch von seiner eigenen Arbeit am DSM-IV und von seinen Fehldiagnosen als junger Psychiater.
    – Er erklärt nicht alle Übel aus einer Wurzel. Auch wenn die Pharmaindustrie den größten Schaden anrichte, indem sie mit immensem Werbeaufwand Psychopharmaka in den Massenmarkt drücke, sei sie doch keine kriminelle Vereinigung. Sie verhalte sich so, wie profitorientierte Unternehmen es eben tun, um am Markt erfolgreich zu sein. Sie kann die diagnostische Inflation auch nicht aus eigener Kraft in Gang setzen, sondern ist auf einen entgegenkommenden Gesetzgeber und auf die Autoren der »Psychiatriebibel« angewiesen, nach der Ärzte ihre Diagnosen verschlüsseln müssen.
    – Seine Inflationswarnung macht Frances nicht blind für gegenläufige Entwicklungen. Viele psychische Störungen, beispielsweise die Depression und die posttraumatische Belastungsstörung, würden in großem Ausmaß über- und unterdiagnostiziert. Die schwere Depression nennt er »eine der schrecklichsten Heimsuchungen der Menschheit«, ein Drittel der Betroffenen in den USA erhalte aber keinerlei Behandlung. Durch die Fehlallokation von Ressourcen würden die Mittel für die wirklich Behandlungsbedürftigen verknappt.
    – Bei aller Schärfe seiner Kritik redet Frances keiner Alternativmedizin das Wort. Insbesondere ist er für die Sirenengesänge der Antipsychiatrie taub, also für die in den Sechziger- und Siebzigerjahren populäre radikal psychiatriekritische Bewegung, die psychische Krankheiten zu Mythen erklärte und alle Klinikpforten
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