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Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel

Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel

Titel: Nesthäkchen 09 - Nesthäkchens und ihre Enkel
Autoren: Else Ury
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Nachkömmling. Und wieder vergingen die Jahre. Zu Beginn eines jeden nahmen wir uns vor, in diesem Sommer geht es bestimmt hinüber. Stets kam etwas dazwischen. Die Großelten in Lichterfelde sind alt geworden bei dem ständigen Hoffen und vergeblichen Harren. Wer weiß, ob man sie noch mal wiedersieht.« Solch mutlose Kundgebung ihrer Heimatsehnsucht war sonst gar nicht Frau Ursels Sache. Die Töchter waren denn auch bestürzt und erschreckt.
    »Aber Mammi, liebe, kleine Mammi, nun dauert es doch gar nicht mehr lange, dann fährst du mit uns zu den Großeltern nach Deutschland. In kurzem ist Weihnachten - gleich nach Ostern reisen wir. Das ist gar nicht mehr lange hin.« Wenn es galt, ihre Mammi wieder froh zu machen, wurde Marietta ebenso lebhaft und beredt wie ihre Zwillingsschwester. »Wenn ich nur mal erst wieder Nachricht hätte. Die Großmutter schreibt sonst so regelmäßig alle zwei Monate. Aber nun ist schon ein Vierteljahr seit ihrem letzten Brief vergangen. Hoffentlich ist drüben alles gesund.«
    Aus dem dunklen Grün der Anpflanzungen tauchten die hellen, breitrandigen Farmerhüte der Plantagenarbeiter auf. Kauernde Gestalten richteten sich bei dem nahenden Hufschlag von der Arbeit auf und grüßten die Vorüberreitenden ehrerbietig. Dunkle und hellfarbige Gesichter, schwarze und blaue Augen. Es war ein Gemisch der verschiedenen Nationalitäten und Rassen.
    Das Sommerhaus der Janqueiras war erreicht. Schwarze Diener halfen den Damen beim Absteigen.
    »Ah, ihr seid es - willkommen - willkommen!« Die Schwiegermutter, noch heute Spuren ehemaliger Schönheit verratend, begrüßte in ihrer lebhaften Art Schwiegertochter und Enkelinnen. »Kommt ins Schlafzimmer, da ist es gemütlicher.«
    Daran hatte sich Frau Ursel gewöhnen müssen, daß man hier in Brasilien gute Freunde und Anverwandte im Schlafzimmer empfing. Auf den Betten nahm man Platz, die nur Matratze, Leinentuch und ein Paradekissen, das am Tage zum Schmuck lag und zur Nacht fortgenommen wurde, zeigten. Das Moskitonetz, das wichtigste Utensil in den Tropen, war zurückgeschlagen. Auch Donna Margarida erschien, erfreut über den lieben Besuch. Sie war nicht mehr zierlich und graziös wie ein Püppchen, sondern war von den vielen Süßigkeiten und dem Schlaraffenleben, dem sie huldigte, etwas in die Breite gegangen. Man saß auf den Betten. Farbige Diener brachten Eis und Früchte. Frau Ursel mußte über alle Bekannten in Sao Paulo Bericht erstatten. Denn die beiden anderen Damen waren schon über einen Monat aus der Stadt entfernt, und der Klatsch spielte dort eine wichtige Rolle. Anita verstand es besonders, die Ereignisse in humoristischer Weise darzustellen. Die Großmutter, deren erklärter Liebling sie in ihrer südländischen Lebhaftigkeit und Schönheit war, strahlte, und auch Tante Margarida bildete ein dankbares Publikum. Frau Ursel aber mochte das Herziehen über den lieben Nächsten nicht, ebensowenig, daß ihr ohnedies schon genügend selbstbewußtes Töchterchen derart den Mittelpunkt bildete. Sie unterbrach Anitas heitere Beschreibung: »Nita, du läßt heute dein Lästermäulchen wieder mal abschnurren. Nun ist es genug. Geh mit Jetta lieber in den Garten.« Marietta sprang erfreut auf, sie langweilten diese Berichte, geradeso wie ihre Mutter. Anita aber zog ein Mäulchen.
    »Jetta und ich wollen lieber eine Stunde reiten.« Ohne die Schwester zu fragen, nahm Anita es als selbstverständlich an, daß diese ihren Wunsch teilte. War Marietta doch immer nachgiebig und fügsam.
    »Aber nicht weiter als bis zur Schlucht, Kinder. Pedro oder Diego reitet natürlich mit euch.«
    Die jungen Mädchen verabschiedeten sich. Bald darauf sah man die Silberfüchse im Trab durch die Plantagen sprengen. Anitas schwarze Locken wehten. »Ein Wettritt, Jetta«, schlug sie vor. »Wer zuerst bei der großen Kokospalme an der Schlucht ist. Der Graben wird als Hindernis genommen. Eins – zwei ...«, bei »drei« sauste sie schon davon. Die Schwester folgte im Abstand einer Pferdelänge. Da hemmte Marietta plötzlich den Galopp. War da nicht irgendwo ein Weinen erklungen? Ein Zügeldruck brachte den Gaul zum Stehen. Scharfen Auges spähte das junge Mädchen in den grünen Wellen der Kaffeesträucher umher. Halt - da schimmerte ein rotes Röckchen.
    Unter einem nur wenig Schatten spendenden Gummibaum kauerte ein kleines etwa siebenjähriges Mädchen. Blonde, wirre Haarsträhnen fielen über die sonnengebräunten Händchen, die die Kleine vor das Gesicht
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