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Nayla die Loewin

Nayla die Loewin

Titel: Nayla die Loewin
Autoren: Thomas Knip
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keine Grundlage sah. Talon war dabei bewusst geworden, wie sehr ihm ein Halt fehlte. Er fühlte sich, als habe er jegliche Bindung verloren und treibe nur noch durch den Tag, ohne zu wissen, wohin ihn sein Weg führte.
    Nachdem er den schwarzen Tempel verlassen hatte, war er ziellos durch die Gegend gestreift. Die letzten Jahre über war sein Halt die Zugehörigkeit zu einem Rudel Löwen gewesen. Die ihn verstießen, nachdem er Shion, den schattenhaften Löwen besiegt hatte. Doch auch dessen Tempel bot ihm kein Zuhause. Das Auftauchen von Eser Kru machte ihm klar, wie fremd ihm diese untergegangene Welt war, wie schwer es war, vieles von dem zu akzeptieren, was innerhalb der gewaltigen Ruinenanlage als selbstverständlich galt.
    In diesen Tagen war ihm deutlich geworden, dass er ohne Wurzeln war. Talon hatte die Nähe der Menschen in all den Jahren absichtlich gemieden. Ohne zu wissen, was früher einmal geschehen war. Seine Erinnerungen lagen unter einem dichten Mantel verborgen, der sich nur selten öffnete. Und wenn er es tat, dann waren es Bilder voller Schmerzen und Kälte.
    Doch die wenigen Stunden, die er bei der jungen Schwarzen verbracht hatte, hatten ihm gezeigt, wie sehr er die Nähe eines einzelnen Menschen vermisste. Wie sehr ihm Berührungen fehlten. Solange er aber nicht wusste, wohin er gehörte und wer er war, war er nicht bereit, die Verantwortung für einen anderen Menschen zu übernehmen.
    Sein Leben war die letzten Jahre über ein ständiger Kampf ums Überleben gewesen. Seltsam, wie vertraut ihm dieser Zustand erschien. Als sei er es gewohnt gewesen, nicht zur Ruhe zu kommen.
    Die Ankunft in Nishekis Dorf war für ihn, als schließe sich ein Kapitel. Der Abschied von ihr war kurz und nüchtern. Es war ihrer Familie deutlich anzumerken, wie unwohl sie sich in dieser Situation fühlten. Keiner von ihnen versuchte, die Erleichterung zu verbergen, als Talon rasch aufbrach. Es überraschte ihn jedoch, als sie ihm ein schlichtes, knöchellanges Baumwollhemd mitgaben. Um sie nicht in Verlegenheit zu bringen, streifte er es über. Dabei merkte er, wie belustigt er darauf reagierte, dass die Menschen immer wieder versuchten, ihn, den Wilden, nicht halbnackt herumlaufen zu lassen.
    Es erleichterte ihm jedoch tatsächlich die Bewegung unter den Menschen, die ihm wegen seines Aussehens ab und zu einen überraschten Blick zuwarfen, ihn aber ansonsten unbehelligt ließen.
    Ihm war die Anspannung nicht verborgen geblieben, die die Menschen hier beherrschte. Seit Wochen schon trafen täglich Flüchtlinge aus den Regionen südlich von hier ein, die von unerklärlichen Vorfällen sprachen. Dinge, die sich einfach aufzulösen schienen. Menschen, die spurlos verschwanden oder sich völlig veränderten. Manche von ihnen verwendeten plötzlich Sprachen, von denen heutzutage nur noch einige wenige Worte in alten Überlieferungen erhalten geblieben waren.
    Viele von ihnen wurden auch von einem fortschreitenden Verlust ihrer Erinnerung gezeichnet. Das Wissen um moderne Einrichtungen oder aktuelle Ereignisse war ihnen verloren gegangen. Talon hatte selbst erlebt, wie manche von ihnen in Panik ausbrachen, wenn ein Lastwagen an ihnen vorbeirumpelte. Das Bild wirkte so irreal, als habe man Menschen aus einer vergangenen Zeit in die Gegenwart geholt.
    Eser Kru … - nach dem Sieg über Shions alten Gegner hatte er gedacht, dass dessen Versuch, die Vergangenheit zu neuem Leben zu erwecken, gescheitert sei. Sie hatten kurz darauf noch einige Auswirkungen in umliegenden Siedlungen festgestellt, doch Talon war davon ausgegangen, dass diese Nachwirkungen längst abgeebbt seien.
    Doch nun musste er erleben, dass sich der Prozess offensichtlich noch immer fortsetzte. Dass er nie zum Erliegen gekommen war und die Welt um sich herum veränderte, einen Teil davon zurück in die Vergangenheit riss und die Gegenwart sich nach und nach aufzulösen schien.
    Er löste sich aus dem Schatten eines Vordachs und folgte der leicht gewundenen Straße aus festgetretener Erde, die durch das lang gezogene Dorf hindurchführte. Viele der Türen an den niedrigen Lehmbauten standen offen. Die Menschen mussten ihre Unterkünfte fluchtartig aufgegeben haben. Kein einziger Laut war zu hören, nicht einmal der eines umherstreunenden Tieres. Es war, als hätte jegliches Leben diesen Ort verlassen.
    Die letzten Häuser lagen vor ihm. Dahinter breitete sich der Dschungel in seinen facettenhaften Grüntönen aus. Die Luft nahm förmlich an Dichte zu, so sehr
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