Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz

Titel: Nachtglanz - Heitmann, T: Nachtglanz
Autoren: Tanja Heitmann
Vom Netzwerk:
Schlagstock nun nicht länger, um Adam in Schach, sondern um ihn auf den Beinen zu halten.
    Hinter ihnen hielt eine Kutsche an. Adam bemühte sich verzweifelt, seinen krampfenden Magen unter Kontrolle zu bringen, als er plötzlich nichts anderes als Muskatduft wahrnahm, gemischt mit Papier, Sauberkeit und einem teuren Rotwein. Obwohl ihm wegen der Übelkeit der kalte Schweiß ausbrach, bestand seine ganze Welt nur noch aus diesem Geruch. Zugleich empfand er eine fast kindliche Freude darüber, dass seine Jagd doch noch erfolgreich gewesen war. Er hatte die Quelle des Duftes erreicht, wenn auch auf einem etwas krummen Weg.

    »Mein Guter, habe ich Sie endlich gefunden!«, ertönte eine angenehme, geradezu singende Stimme.
    Neben dem Gendarmen tauchte eine schmale Gestalt auf, ein älterer Herr in einem überaus eleganten Gehrock. Das schlohweiße Haar war ein wenig zu lang im Nacken, und trotz des modischen Schnurrbarts wohnte seinem Gesicht etwas Knabenhaftes inne. Er täuschte vor, Adam die Schulter zu tätscheln, berührte ihn in Wirklichkeit jedoch nicht. »Mein Gott, Sie sehen ja wirklich scheußlich aus. Das kommt davon, wenn man versucht, mit dem Kopf voran durch die Tür zu rennen, anstatt sie einfach zu öffnen. Was sind Sie nur für ein ausgemachter Trunkenbold!«
    »Sie kennen den Monsieur und wissen, was ihm zugestoßen ist?«
    »Natürlich kenne ich diesen Monsieur, schließlich ist er mein Neffe - wenn auch nur zweiten Grades. Er ist zur Eröffnung der Weltausstellung angereist.Wir haben uns mit einer Gesellschaft eine Vorstellung im Chat Noir angesehen und anschließend noch die eine oder andere Bar aufgesucht. Mein junger Verwandter hat die Wirkung, die unserem berühmten grünlichen Getränk zu eigen ist, unterschätzt und ist geradewegs gegen eine Tür gelaufen. Eigentlich wollte er nur etwas frische Luft schnappen … Nun habe ich ihn ja wiedergefunden.«
    Adam legte sich eine Hand über seine zitternden Lippen. Konnte es wirklich sein, dass er sich letzte Nacht betrunken und den Kopf gestoßen hatte? War alles, was er seitdem erlebt hatte, eine vorübergehende Verwirrung, bis sein Gehirn abschwoll? Hoffnung keimte in ihm. Deshalb die Übelkeit und die quälende Stimme. Und deshalb war er auch ausgerechnet in dieses Viertel gelaufen, all die vielen Kilometer, weil er hier schon einmal gewesen war. Als könne sich ein Teil von ihm doch an die Geschehnisse vor dem Morgen in der Gasse erinnern. Der Herr … sein Onkel musste ihn also schon seit dem
letzten Abend vermissen. Obwohl es eben so geklungen hatte, als habe alles heute Nacht stattgefunden.
    Also beschloss Adam, nach der einzigen Sache zu fragen, die er mit Bestimmtheit wusste: »Wie lautet mein Name?« Seine Stimme war so rau, dass er seine Worte selbst kaum verstand.
    Auf dem Gesicht des eleganten Herrn zuckte es, dann wandte er sich mit einem einnehmenden Lächeln dem Gendarmen zu. »Es wird wohl das Beste sein, wenn ich ihn jetzt in meine Kutsche bugsiere, bevor auf offener Straße noch ein Unglück passiert. Diese fahle Gesichtsfarbe verspricht nichts Gutes.«
    Obwohl der Gendarm den Schlagstock senkte, woraufhin Adam noch ein Stück tiefer zusammensackte, trat er nicht beiseite. »Es klang so, als sei der Monsieur überfallen worden«, gab er zu bedenken.
    Der Herr, den jener rätselhafte Muskatduft umgab, musterte Adam angestrengt durch seine Brillengläser, dann schüttelte er den Kopf. »Nein«, sagte er entschieden. »Er sieht genau so aus, wie er uns verlassen hat. Nur, dass das Blut mittlerweile getrocknet ist. Sein besudeltes Plastron und der Zylinder sind in der Bar zurückgeblieben. Die Nase sieht sogar erstaunlich gut aus. Nach dem Knall, den es beim Zusammenstoß gegeben hat, dachte ich eigentlich, sie wäre Mus. Mehr Glück als Verstand, wie man so sagt. Oh, ich befürchte, er bricht gleich zusammen.«
    Mit einer erstaunlichen Gewandtheit packte der Herr Adam unter der Achsel und führte ihn zu dem Coupé. Als es Adam nicht gelingen wollte, den Tritt zu nehmen, verstärkte sich der Griff und hievte ihn hinauf. Das kann nicht sein, schoss es Adam durch den Kopf. Dieser zierliche Bursche kann unmöglich über eine solche Kraft verfügen. Er wollte die Kutsche bereits wieder verlassen und seinen Begleiter genauer in Augenschein nehmen, als ihm die Beine endgültig den Dienst versagten.
    Nun gib endlich Ruhe!, herrschte ihn die Stimme an.
    Dann wurde alles schwarz.

3
    Wahn und Wahrheit
    Klares Morgenlicht fiel durch hohe Fenster
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher