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Mystik des Herzens

Mystik des Herzens

Titel: Mystik des Herzens
Autoren: Ingrid Riedel
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solche Verdächtigung widerfuhr).
    Teresa, für die Gott auch bei der Arbeit an den Kochtöpfen gegenwärtig ist und erfahren werden kann, weist wiederum einen echt weiblichen Zugang zur Spiritualität auf: durch Hingabe an das, was praktisch Not tut und durch Annahme dessen, was sich uns schenkt: in der Stille der Klausur ebenso wie im Lärm der Welt.
    Bewusst in die Spuren Teresas tritt eine Frau des 20. Jahrhunderts, die Intellektuelle, Philosophin, zunächst Atheistin: Edith Stein. Bei ihrer im jüdischen Brauchtum noch verwurzelten Kindheit hat sie die Tragkraft religiöser Tradition kennengelernt, die sie weiterträgt, auch als sie sich intellektuell weit davon entfernt.
    Edith Stein sucht die geistige Begegnung mit Teresa nicht bewusst, sondern wird von deren geistiger Ausstrahlung berührt, gefunden und tief angezogen, als sie sie über einer nächtlichen Lektüre ihrer Schriften in der Bibliothek ihrer Freundin unvermutet entdeckt. Die Jüdin Edith Stein tritt schließlich in den Karmeliterinnen-Orden der Teresa ein. Der Schritt fällt in die Zeit, als sich durch die Machtübernahme des NS-Regimes das politische Schicksal des Judentums in Deutschland zusammenzubrauen beginnt. »Kreuzeswissenschaft« nennt die Philosophin Edith Stein ihren eigenen mystischen Zugang zu einem »übernatürlichen Umgang mit dem Leiden«, – wie ihre geistige Schwester Simone Weil dies ausdrückt – ein Umgang mit dem Leiden, das sie sich am Geschick des Jesus von Nazareth vergegenwärtigt und das sie nachzuvollziehen sucht, indem auch sie ihr »Ge-schick« nicht aus den Händen der Nazi-Schergen, sondern aus den Händen »Gottes« entgegenzunehmen sucht, als verwandelndes Leiden, das einen selbst und vielleicht auch andere Menschen zu transformieren vermag, indem es zum Beispiel bis in die Tiefe des Menschheitsgewissens hinein die Einsicht verankert, dass es nie wieder Verfolgung aus rassistischen Gründen geben dürfe. Gottes Leiden daran mittragend, nahm Edith Stein die Opferung ihres Lebens auf sich, nach jüdischer, aber auch katholischer Tradition, dass es stellvertretendes Leiden im Sinne eines Gottesknechtes, einer Gottesmagd gäbe, das mithülfe, durch freiwilliges Mittragen das Leiden Gottes und der Menschen am Unrecht der Welt nicht vergebens sein zu lassen, sondern durch Verwandlung fruchtbar zu machen.Dies sind keine rationalen Gedanken und Vorstellungen mehr, sondern das ist Mystik, Mystik des Kreuzes, der »Kreuzeswissenschaft«.
    Ein wenig mag es gelingen, sich in solches Erleben einzufühlen, wenn wir selber versuchen, etwas, das uns angetan wurde – aus Unverstand, Bosheit oder auch Neid – auf seine Bedeutung für uns selbst zu befragen, unabhängig davon, wie andere es gemeint haben mögen. Welche Bedeutung kann ich diesem Vorkommnis geben, im Blick auf mein eigenes Verständnis meines Lebens, meines Schicksals? Was kann sozusagen »Gott« damit gemeint haben? Wie kann ich es verwandeln, damit es fruchtbar werden kann, vielleicht sogar für andere und in einem größeren Zusammenhang?
    In anderer Weise wirft eine Frau des 20. Jahrhunderts, Dorothee Sölle, die Frage nach dem Sinn des Leidens, dem Mittragen am »Leiden Gottes« auf. »Stellvertretung«, der Titel ihres umstrittensten Buches, wirft die Frage nach einer »Theologie nach dem Tode Gottes« auf. Wie hat man ihr diese Frage zum Vorwurf gemacht! Dabei ist nach Auschwitz nichts anderes zerbrochen als ein altes Gottesbild, das des allezeit schützenden und bewahrenden Vater-Gottes.
    »Menschen gehn zu Gott in ihrer Not«, so schrieb Dietrich Bonhoeffer, Sölles älterer Zeitgenosse, der ebenfalls dem Naziterror zum Opfer fiel, und fuhr fort: »so tun sie alle, alle, Christen und Heiden«. Und er setzt neu an: »Christen aber stehn bei Gott in seiner Not«, sie bitten nicht nur um Schutz, sie tragen als erwachsene Menschen mit.
    Für Sölle ist das Mithandeln und Mitleiden des Menschen mit Gott »in seiner Not« zentral: im Sinne klaren politischen Engagements für alle, die Unrecht leiden – denn das widerspricht Gottes Konzept für die Menschen und für die Welt – doch hat dieses extravertierte Engagement eine Innenseite, eine spirituelle Seite, aus der es sichspeist und von der es in allen Widerständen, die man ihm entgegensetzt, getragen ist: nämlich, sich als »Baum Gottes« zu wissen, »gepflanzt an den Wasserbächen des Lebens«, oder in einem noch schöneren Bild, sich als »Traum Gottes« zu wissen, den man mitträumt.
    Dorothee Sölle
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