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Mordwoche (German Edition)

Mordwoche (German Edition)

Titel: Mordwoche (German Edition)
Autoren: Sabine Wierlemann
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konnten die Zeremonie nur in einer langen Schlange wartend verfolgen. Sobald sie an der Reihe wären, würde jeder einzelne auf den Sarg herabschauen, eine Schippe voll Erde auf den Deckel werfen und sich auf dem schmalen Weg zwischen Mauer und Grab in Richtung Ausgang bewegen. Valentina zögerte nicht lang, im Bruchteil einer Sekunde hatte sie sich für den besten Platz entschieden. Sie zog Otto König am Arm mit sich und schlängelte sich hinter der Familie des Toten an die gegenüberliegende Seite des Grabes. Jetzt hatten sie die Friedhofsmauer im Rücken und den Trauerzug der Bärlinger „High Society“ vor sich.
    Als Gerda König merkte, wohin die Italienerin strebte, hatte sie sich von ihrem Mann losgemacht. Wenn der das mitmachte, war es seine Sache. Sie wollte der Beisetzung allerdings nicht in so einer exponierten Lage beiwohnen. Otto war seine Rolle auch nicht gerade recht, aber er hatte am Grab auch keine Diskussion riskieren wollen und so hatte er die Italienerin bestimmen lassen, wo sie stehen wollte. Er hatte Valentina Felice immer noch am Arm und schaute zu seiner Frau herüber. Was hatte er nur für ein Glück mit seiner Gerda! Er lächelte sie an. Wenn er sich ausmalte, dass die anstrengende Frau an seiner Seite im Privaten mit Sicherheit nicht weniger launisch war, dann war Adriano wirklich nicht zu beneiden. Otto König konnte den Pizzeria-Wirt verstehen, dass dieser jede Gelegenheit nutzte, um sich eine Verschnaufpause von seiner Gattin zu gönnen. Diese kleine Auszeit gönnte der Friseur dem Italiener von Herzen. Immerhin würde er die exaltierte Erscheinung an seiner Seite mit ihrem monströsen Hut in wenigen Minuten wieder los sein. Adriano Felice aber hatte lebenslänglich!
     
    Der Sizilianer wusste, dass er jetzt eine Entscheidung treffen musste. Der Leichenzug hatte sein Ziel erreicht und gleich würde der Sarg ins Grab gelassen werden. Stefano Zanolla biss sich vor Anspannung auf die Lippe. Es gab nur diesen einen Schuss, dann musste er seine Sachen packen und verschwinden. Er war hier zwar in der Provinz, wo nicht an jeder Straßenecke ein Polizist lauerte, aber hinter dem Mond lebten die Menschen hier auch nicht. Eile war in jedem Fall geboten. Und wenn er sich an den Blick erinnerte, den ihm der Polizist gestern bei Adriano im Venezia zugeworfen hatte, dann hatte er das Gefühl, dass er nicht den Fehler machen sollte, sich hier in Bärlingen in Sicherheit zu wiegen. Stefano Zanolla lud das Präzisionsgewehr durch und hielt automatisch den Atem an, um den Schuss sicher zu setzen.
     
    Katrin stand mit ihrer Familie ganz vorn am Grab. Susanne und Alex hatten sich rechts neben sie gestellt. An ihre linke Seite hatte sich Valentina Felice am Arm Otto Königs gedrängt. Katrin entging es nicht, dass die Italienerin sich mächtig in Schale geworfen hatte. Sie trug ein Pelz-Cape, das Elfis nicht ganz unähnlich war und einen überdimensionierten Hut. Vielleicht war es doch ganz richtig gewesen, dass sie sich dagegen entschieden hatte, den Pelzmantel ihrer Mutter anzuziehen. Das hätte sicher für Gesprächsstoff unter den Damen der besseren Gesellschaft gesorgt, denn die hätten Elfis Mantel unter Garantie erkannt. Was die andere hatte, wurde in diesen Kreisen genau taxiert, katalogisiert und mehr oder weniger im Geheimen kritisiert. Dass es Alex gewesen war, die sie überzeugt hatte, dass ein Pelz nur ein Statussymbol für affektierte Gattinnen war, das hatte Katrin überrascht. Lesben gehörten in ihren Augen nicht gerade zu der Gruppe Menschen, denen sie ein besonderes Stilempfinden zutraute. Aber so konnte man sich irren. Jetzt konnte Katrin dem Moment nicht mehr ausweichen, vor dem sie sich die letzten Tage so sehr gefürchtet hatte. Der letzte Abschied war gekommen und sie merkte, dass auch ihre Schwester gegen die Tränen ankämpfte.
     
    Aus alter Gewohnheit hatte Adriano mit beiden Händen in seine Manteltaschen gegriffen, um nach seinem Eukalyptus-Mundspray zu suchen. In seiner rechten Manteltasche fand er den Zerstäuber, der sein treuer Begleiter geworden war, seit er sich vor ein paar Jahren das Rauchen abgewöhnt hatte. Jedes Mal, wenn der Italiener sonst zu einer Zigarette gegriffen hätte, nutzte er jetzt das Mundspray. In dieser Situation höchster Anspannung war das Spray zwar nur ein schwacher Ersatz für eine Zigarette, aber das kümmerte Adriano nicht. Denn in seiner linken Tasche ertastete er die beiden Briefe, die Karl ihm bei ihrem letzten Treffen im Venezia
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