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Mord im Herbst: Roman (German Edition)

Mord im Herbst: Roman (German Edition)

Titel: Mord im Herbst: Roman (German Edition)
Autoren: Henning Mankell
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zu sein heißt noch lange nicht, dass man krank ist. Was meinst du?«
    Martinsson trat ans Fenster und blickte hinaus.
    »Ich meine nur, dass der Cousin meiner Frau, Karl Eriksson, zweiundneunzig Jahre alt ist. Bis vor ein paar Monaten war er noch klar im Kopf. Dann geschah etwas. Eines Tages ging er nackt auf die Straße, und als die Leute ihm helfen wollten, wusste er nicht mehr, wer er war und wo er wohnte. Bis dahin hatte er allein in seinem Haus gelebt. Die Demenz kommt meistens schleichend. Doch in seinem Fall kam sie urplötzlich.«
    Wallander sah Martinsson fragend an.
    »Aber wenn er so plötzlich senil wurde, wie konnte er dich dann bitten, den Verkauf seines Hauses zu übernehmen?«
    »Das habe ich doch schon erzählt. Wir haben vor mehreren Jahren ein entsprechendes Schreiben aufgesetzt. Vielleicht ahnte er, dass er eines Tages im Nebel verschwinden würde, und wollte seine Angelegenheiten geregelt wissen.«
    »Hat er keine klaren Momente mehr?«
    »Keine. Er erkennt niemanden. Die einzige Person, von der er redet, ist seine Mutter, die vor fünfzig Jahren gestorben ist. Er sagt, er müsse Milch holen. Das wiederholt er die ganze Zeit, wenn er wach ist. Er lebt in einem Pflegeheim für Menschen, die nicht mehr von dieser Welt sind.«
    »Aber es muss doch jemanden geben, der Fragen beantworten kann.«
    »Genau das ist nicht der Fall. Karl Eriksson und seine Frau, die irgendwann in den Siebzigerjahren starb, hatten keine Kinder. Doch, sie hatten zwei Kinder, zwei Töchter, die vor langer Zeit bei einem entsetzlichen Unglück in einem Schlammbrunnen ertrunken sind. Andere Verwandte gibt es nicht. Sie lebten isoliert und hatten nur zu mir und meiner Familie zuweilen Kontakt.«
    Wallander wurde ungeduldig. Außerdem hatte er Hunger. Lindas Sandwich hatte nicht lange vorgehalten.
    »Wir müssen dort im Haus anfangen«, sagte er und stand auf. »Es muss Grundbucheintragungen geben. Alle Menschen haben eine Geschichte. Und Häuser genauso. Wir gehen zu Liza und sprechen mit ihr.«
    Sie setzten sich in Liza Holgerssons Zimmer. Wallander ließ Martinsson von Stina Hurléns Befund und dem senilen Eriksson berichten. Sie hatten es sich im Laufe ihrer langjährigen Zusammenarbeit zur Gewohnheit gemacht, sich beim Vortragen von Berichten abzuwechseln, damit der andere zuhören und den Fall aus der Distanz betrachten konnte.
    »Wir können nicht viele Leute darauf ansetzen«, sagte Liza Holgersson, nachdem Martinsson geendet hatte. »Außerdem spricht wohl fast alles dafür, dass ein eventueller Mord verjährt wäre.«
    Wallander dachte, dass dies genau die Art von Kommentar war, die er erwartet hatte. In den letzten Jahren hatte er feststellen müssen, dass immer weniger polizeiliche Kräfte für das eingesetzt wurden, was eigentlich das Wichtigste sein sollte, die Feldarbeit. Immer mehr seiner Kollegen erledigten Schreibtischarbeit und mussten nach verwirrenden und sinnlosen Prioritäten vorgehen, die sich ständig änderten. Ein alter Mord, wenn es denn ein Mord war, auf den sie in Löderup gestoßen waren, konnte unter solchen Voraussetzungen nur mit begrenzter Aufmerksamkeit rechnen.
    Er war auf die Antwort gefasst gewesen, wurde aber dennoch wütend.
    »Wir informieren nur«, sagte er. »Wir sagen das, was wir wissen, aber für jeden Fall sollte eine grundlegende Untersuchung durchgeführt werden. Wir verlangen kein großes Aufgebot. Zumindest nicht, bevor wir den endgültigen Bericht von der Gerichtsmedizin in Lund bekommen haben. Und Nybergs Bericht. Wir sollten wenigstens herausfinden, wer dort draußen in der Erde liegt. Wenn wir uns weiterhin Polizisten nennen wollen.«
    Liza Holgersson zuckte zusammen und sah ihn betroffen an.
    »Was meinst du mit dem letzten Satz, den du gesagt hast?«
    »Wir zeigen in unserem Handeln, dass wir Polizisten sind. Nicht in der ganzen Statistik, mit der wir unsere Arbeitszeit vertun.«
    »Statistik?«
    »Du weißt so gut wie ich, dass unsere Möglichkeiten, Verbrechen aufzuklären, viel zu begrenzt sind. Weil wir uns mit unwichtigem Papierkram abgeben müssen.«
    Wallander fühlte, dass er einem Wutausbruch nahe war. Aber es gelang ihm, sich so weit zu beherrschen, dass Liza Holgersson nicht merkte, wie groß seine Verbitterung tatsächlich war.
    Aber Martinsson durchschaute ihn natürlich sofort.
    Wallander stand hastig auf.
    »Wir sehen uns da draußen einmal um«, sagte er mit erkämpfter Freundlichkeit. »Wer weiß, was wir finden?«
    Er verließ den Raum und ging mit
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