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MoR 04 - Caesars Frauen

Titel: MoR 04 - Caesars Frauen
Autoren: Colleen McCullough
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noch besser — überhaupt nicht dachten.
    Doch Caesar wollte mehr sein als der Anführer einer eigenen Faktion; er wollte eine Institution werden, der »Erste Mann in Rom«, primus inter pares, der erste unter gleichen, die meiste auctoritas besitzen, die größte dignitas. Der »Erste Mann in Rom« — das war die personifizierte Macht. Was immer er sagte, man würde ihm zuhören, und niemand konnte ihn stürzen, denn er war weder König noch Diktator; er würde seine Stellung allein durch die Kraft seiner Persönlichkeit halten, ohne ein Amt, ohne eine Armee im Rücken. Der alte Gaius Marius hatte den schweren Weg gewählt und Germanien erobert, denn er konnte nicht auf Vorfahren zurückgreifen, die den Leuten klargemacht hätten, daß er es verdiente, der »Erste Mann in Rom« zu sein. Sulla hatte die entsprechenden Vorfahren gehabt, aber den Titel hatte er sich nicht verdient, weil er sich selbst zum Diktator gemacht hatte. Er war einfach Sulla gewesen — der große Aristokrat, Alleinherrscher, Träger der Graskrone, unbesiegter General. Eine militärische Legende, gereift in der politischen Arena — der »Erste Mann in Rom«.
    Und deshalb durfte der Mann, der »Erster Mann in Rom« werden wollte, keiner Faktion angehören; er mußte eine Faktion konstituieren, durfte sich auf dem Forum nicht zur Marionette eines anderen machen lassen, sondern hatte als furchterregender Verbündeter aufzutreten. Im heutigen Rom hatte ein Patrizier es leichter, und Caesar war Patrizier. Seine frühen Vorfahren hatten bereits dem Senat angehört, als dieser noch aus hundert Männern bestand, die den römischen Königen als Ratgeber dienten. Noch bevor Rom überhaupt existierte, waren seine Vorfahren selbst Könige gewesen, Könige von Alba Longa auf dem Albanerberg. Und eine Urahnin war die Göttin Venus; sie hatte Aeneas geboren, den König von Dardania, der ins latinische Italien gesegelt war, um dort ein neues Königreich zu errichten, das eines Tages zum Stammland des Römischen Reiches werden sollte. Wer einer solch herausragenden Familie entstammte, war dazu prädestiniert, zum Führer seiner eigenen Sache zu werden. Die Römer liebten Männer mit langen Stammbäumen, und je erlauchter dieser Stammbaum, desto größer die Chancen des Mannes, Gründer einer eigenen Faktion zu werden.
    Und so wußte Caesar genau, was er bis zu seiner ersten Amtszeit als Konsul in neun Jahren zu tun hatte. Er mußte Männer um sich scharen, die ihn für würdig befanden, der »Erste Mann in Rom« zu werden. Was nicht unbedingt bedeutete, daß er sie bei Laune halten mußte; er mußte vielmehr die beherrschen, die nicht seinesgleichen waren. Die Männer, die ihm ebenbürtig waren, würden ihn fürchten und hassen, weil sie gegen jeden waren, der »Erster Mann in Rom« werden wollte. Mit Klauen und Zähnen würden sie sich gegen seinen Ehrgeiz wehren, sie würden vor nichts zurückschrecken, um ihn zu stürzen, bevor er so mächtig geworden wäre, daß sie ihn nicht mehr stürzen konnten. Deshalb verabscheuten sie Pompeius den Großen, der sich zur Zeit gern »Erster Mann in Rom« nannte. Nun, das würde nicht so bleiben. Der Titel gehörte ihm, Caesar, und nichts und niemand würde ihn daran hindern, ihn sich zu holen. Er wußte es, denn er kannte sich.

    Er war dankbar, als sich am Morgen des Tages nach seiner Rückkehr eine kleine Gruppe von Klienten eingefunden hatte, die ihm ihre Aufwartung machen wollten; sie füllten sein Empfangszimmer, und sein Verwalter Eutychus strahlte bei ihrem Anblick übers ganze Gesicht. Lucius Decumius, drahtig und aufgekratzt wie eine Grille, strahlte ebenfalls und hüpfte von einem Bein auf das andere, als Caesar aus seinen Privatgemächern trat.
    Ein Kuß auf Lucius Decumius’ Mund machte großen Eindruck auf so manchen der Männer, die Zeugen dieser Begrüßung wurden.
    »Ich hab’ dich fast so sehr vermißt wie Julia, Papa«, sagte Caesar und schloß Lucius Decumius fest in seine Arme.
    »Auch für mich ist Rom nicht Rom, wenn du fort bist, Pavo!« antwortete er und nannte Caesar beim Namen des Pfauen, wie er es schon getan hatte, als sein Patron noch ein kleiner Junge war.
    »Du scheinst überhaupt nicht älter zu werden, Papa.«
    Das stimmte. Niemand kannte das genaue Alter von Lucius Decumius, aber zweifellos war er eher siebzig als sechzig Jahre alt. Er würde wohl ewig leben. Er gehörte lediglich der vierten Klasse an, dem städtischen Tribus der Subura, seine Stimme hatte in keiner Versammlung
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