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Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition)

Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition)

Titel: Mit freundlichen Küssen: Roman (German Edition)
Autoren: Jana Voosen
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als ich mich auf dem Weg aus der Dusche beinahe mit der goldenen Schnur und den vierundzwanzig Päckchen stranguliert habe, die plötzlich in unserem Flur hingen. Die daran befestigten Glöckchen riefen zum Glück Simon auf den Plan, der mich vor dem sicheren Erstickungstod rettete.
    Nächstes Jahr, nächstes Jahr, wiederhole ich wie ein Mantra, nächstes Jahr wird alles anders. Nächstes Jahr mache ich den schönsten, aufwendigsten und romantischsten Kalender der ganzen Welt für Simon. Ich darf es nur nicht vergessen. Wo ist mein Blackberry? Ich greife nach dem Mini-Computer auf meinem Nachtschrank und trage für den fünften November des nächsten Jahres die Notiz »ADVENTSKALENDER FÜR SIMON« mit höchster Priorität ein. Danach geht es mir ein bisschen besser. Ich schließe den obersten Knopf meiner weißen Bluse und mustere mich kritisch in der verspiegelten Tür des Kleiderschrankes. Die schmal geschnittene Hose sitzt schon wieder lockerer am Bund, irgendwie komme ich bei all dem Stress in der Firma nie dazu, anständig zu essen. Ansonsten gefällt mir die schlanke, hochgewachsene Frau mit den kinnlangen rotbraunen Haaren, die mir aus dem Spiegel entgegenblickt. Kompetent sieht sie aus, eine, die sich in der von Männern beherrschten Unternehmensberaterwelt durchsetzen kann. Nur die Schatten unter meinen hellgrünen Augen sollte ich dringend noch wegschminken. Während ich ein ganz dezentes Tages-Make-up auflege, höre ich Simon in der Küche rumoren, und als ich wenig später ins Wohnzimmer mit der offenen, modernen Küchenzeile trete, steht er dort und quetscht mit der elektrischen Saftpresse Orangen aus. Ich bleibe einen Moment lang im Türrahmen stehen und betrachte seine schlaksige, fast eins neunzig große Gestalt in den knallgrünen Boxershorts. Irgendwie hat er sich kein bisschen verändert seit der Zeit, als wir uns vor sieben Jahren in der Mensa um den letzten verbliebenen Schoko-Muffin gestritten haben. Von einem Streit kann eigentlich keine Rede sein, er verzichtete sofort heldenhaft, aber ich wollte das nicht annehmen. Mit Ritterlichkeit hatte ich schon immer ein Problem. In meinem Job kann man sich solche Gesten von Kollegen nicht gefallen lassen. Hält dir einer die Tür auf, schnappt er dir im nächsten Moment einen Auftrag vor der Nase weg, denn man ist plötzlich nur noch Frau und damit nicht mehr ernst zu nehmen. Den Muffin habe ich mir schließlich doch aufdrängen lassen, und keine zwei Wochen später waren Simon und ich ein Paar: Die aufstrebende BWLerin und der angehende Studienrat (Englisch und Geschichte). Seine dunkelbraunen Haare sind seit damals vielleicht an der Stirn ein kleines bisschen lichter geworden, aber sie stehen immer noch kreuz und quer in alle Richtungen, reichen weit über die Ohren und im Nacken noch weiter über den Hemdkragen, wenn er denn jemals ein Hemd tragen würde. Aber Simon kauft seine Klamotten nach wie vor am liebsten in Secondhand-Läden. Und diese grässlichen, verwaschenen grünen Unterhosen hat er, glaube ich, schon seit ich ihn kenne. Aber der Po darin ist noch so knackig wie früher. Ich versuche mich daran zu erinnern, wann ich ihn das letzte Mal unverpackt gesehen habe.
    »Guten Morgen«, ich zucke ertappt zusammen, als Simon sich zu mir umdreht.
    »Guten Morgen«, nuschele ich und schaue schnell in eine andere Richtung, aber da kommt er schon grinsend auf mich zu.
    »Na, wo hast du denn da gerade so interessiert hingeschaut?« fragt er, legt seine Hände auf meine Hüften und zieht mich zu sich heran. Sein schmales, jungenhaftes Gesicht mit den grünbraunen Augen ist jetzt ganz dicht an meinem, ich sehe seinen Mund mit der etwas breiteren Oberlippe, die ihm immer ein leicht schmollendes Aussehen gibt, auf mich zukommen. Ich hebe den Kopf, unsere Lippen treffen sich, und ich schließe kurz die Augen. Hmm, das fühlt sich gut an. Simons Hände wandern an meiner Taille hinauf und beginnen damit, meine Bluse aus der Hose zu ziehen. Alarmiert öffne ich die Augen wieder und sehe den Kranz dunkler Wimpern über seinen genießerisch geschlossenen Augen. Eine Hand wandert hoch zu meinem Nacken und streichelt leicht darüber. Mir läuft ein wohliger Schauer den Rücken hinunter, doch dann fällt mein Blick auf die Küchenuhr. Zehn vor sechs.
    »Simon«, nuschele ich abwehrend.
    »Vivi«, murmelt er zärtlich und drängelt mich gegen die Arbeitsplatte. Ich beende den Kuss mit einem lauten Schmatzer und schiebe Simon von mir weg.
    »Simon, bitte«, sage ich
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