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Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman

Titel: Mit Blut signiert - Ein Caravaggio-Roman
Autoren: Matt Beynon Rees
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Tennisplätzen neigen nicht dazu, einem die Wettschulden zu erlassen.
Er schluckte heftig, spürte im Magen eine bedrohliche Übelkeit.
    Scipione redete über die
Berufung des heiligen Matthäus
. Es war nichts, was Caravaggio in den fünf Jahren, seit denen er es gemalt hatte, nicht längst wieder und wieder zu hören bekommen hätte. Doch musste die Sensation, die sein Stil bei der
Berufung
ausgelöst hatte, erst einmal abklingen. Er hatte viele Erläuterungenvon Kennern über sich ergehen lassen, die sich über die Originalität ausließen, mit der er Unseren Erlöser durch die Düsternis eines Kellers verhüllte, um Ihn damit zugleich umso strahlender zu erleuchten, als es all das teure Ultramarinblau auf der Palette eines konventionellen Malers hätte zustande bringen können. Er hatte aber auch genauso viele Flüche und Verhöhnungen ertragen müssen.
    Doch niemand sah es so, wie Caravaggio es sah. Sie alle meinten, das Licht fiele auf die graubärtige Figur am Tisch, weshalb diese der Steuereintreiber Matthäus sein müsste, der mit dem Finger auf sich selbst zeigte, als fragte er Christus, ob er ihn berufen hätte.
    Aber das war der falsche Mann. Der Finger zeigte nämlich an dem bärtigen Alten vorbei auf einen jungen Mann, der den Kopf über den dunklen Tisch beugte. Mürrisch und unzufrieden mit seinem Beruf, rührte er in seinen Münzen herum. Die meisten, die das Gemälde sahen, erblickten in diesem jungen Mann ein Symbol des elenden Lebens, das Matthäus nun hinter sich lassen würde. Aber alle anderen Gestalten auf der Leinwand waren damit zufrieden, dass es in ihrer Welt nichts anderes als ein trübes Kontor geben würde. Der niedergeschlagene junge Mann am Tischende sah die Welt durch einen Schleier der Nichterfüllung. Er war derjenige, der auf seine Berufung wartete.
    Caravaggio hatte den Heiligen in dem Moment gemalt, bevor er den Kopf hob und das Dunkel sich lichten sah.
So war es für mich
, dachte er. Diese Gemälde waren für seine Kunst die verlängerte Hand Christi, die ihn zu seiner Berufung führte. Er folgte ihr immer noch und fragte sich, wohin sie ihn führen würde – wie ja auch Matthäus noch nicht gerettet war, als Christus ihn berief. Der Heilige musste jahrelang warten, hart an seinem Glauben arbeiten und immer das Licht im Blick behalten.
Bis zu seinem Martyrium
.
    «Die Dunkelheit, Maestro Caravaggio. Ja, die Dunkelheit.»
    Er spürte Scipiones Nähe, spürte auf seiner Wange den Atem des Kardinals, süß wie der einer Frau.
    «Wir sind an biblische Szenen mit lieblicher, toskanischer Landschaft im Hintergrund gewöhnt», fuhr Scipione fort. «Aber als ich Euren Matthäus sah, der in einem Keller eingesperrt ist, war es mir nicht möglich, mich von der seelischen Kraft des Anblicks zu lösen. Meinen Augen bot sich keine Möglichkeit, in die umgebende Szenerie auszuweichen.»
    Caravaggio neigte den Kopf, um seinen Dank auszudrücken. Dabei fiel ihm wieder der Riss in seinem Strumpf auf.
Wem schulde ich etwas?
    «Lässt sich in jedem Motiv seelische Kraft finden?», fragte Scipione.
    «Das hängt von der jeweiligen Seele ab, Eure Durchlaucht.»
    «Durchaus. Nun ja, ich bin mir sicher, dass Ihr das, was aufzudecken ist, in seinem Gesicht findet.»
    Wem schulde ich etwas?
Caravaggio sah Scipione an. «In seinem Gesicht? Wie meinen Eure Durchlaucht?»
    «Ich gebe Euch den Auftrag, etwas zu machen, mit dem sich der hübsche vergoldete Rahmen füllen lässt, der, wie ich bemerkt habe, Euch bereits bei der bloßen Nennung die Stirn runzeln ließ.»
    Sein Gesicht?
«Ein Porträt?» Caravaggio neigte den Kopf, als wollte er das Gesicht des Kardinals in einen Rahmen einpassen.
    Scipione senkte das Kinn. «Nicht meins, Maestro Caravaggio. Seit mein Onkel gewählt wurde, den Ring des Fischers zu tragen, und mich nach Rom gerufen hat, habe ich zu viele andere Verpflichtungen, denen ich nachkommen muss.»
    «Natürlich.»
    «Eine dieser Angelegenheiten besteht darin, die Züge des Heiligen Vaters im Augenblick seiner Ernennung festzuhalten.»
    «Ihr wollt, dass ich –?»
    «Macht es im Palazzo Quirinale. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr Euer eigenes Material mitbringen, aber Ihr sollt mit den Sitzungen am Sonntagnachmittag beginnen.»
    Caravaggio fiel auf die Knie und ergriff Scipiones Hand. Er drückte sein Gesicht auf die Fingerknöchel des Mannes und riskierte zugleich einen fragenden Seitenblick zu del Monte. Sein alter Gönner schürzte die Lippen. Er wusste, was das bedeutete. Nach Jahren,
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