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Mission Clockwork

Mission Clockwork

Titel: Mission Clockwork
Autoren: Arthur Slade
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schlechtes Gewissen. Dabei war er früher ein liebevoller Vater gewesen – viel unterwegs natürlich, aber immer für uns da, wenn er zu Hause war.
    Ich saß am Fenster, blickte hinaus über den Park auf den kleinen See, über dem sich die ersten Sterne zeigten, und wusste einfach nicht, was ich tun sollte, um den Schmerz in meinem Inneren zu ertragen. Ich konnte nicht einmal weinen – es schienen keine Tränen mehr übrig zu sein. Ich dachte an die Beerdigung vor zwei Wochen, an die Worte des Pastors, der von Gottes unergründlichen Wegen gesprochen hatte. Wenn Gott mir in diesem Moment erschienen wäre, ich hätte ihm eine reingehauen.
    Die Tür öffnete sich hinter mir.
    Â»Michael?« Die Stimme der Hexe war ungewöhnlich sanft.
    Nancy Tillerman war unsere Haushälterin, seit meine Mutter vor sieben Jahren gestorben war. Rafael und ich hatten sie immer »die Hexe« genannt, weil sie ein bisschen so aussah wie die aus dem Märchen: dürr, mit einer Hakennase und langen, dünnen Haaren, die sie zu einem Knoten band. Sie hatte zwar keine Warze, aber dafür ein großes Muttermal am Kinn.
    Â»Michael, willst du nicht langsam ins Bett gehen?«
    Â»Ich kann nicht schlafen.«
    Die Hexe kam näher und legte eine Hand auf meine Schulter. »Möchtest du eine heiße Schokolade?«
    Â»Nein, danke.«
    Eine Weile stand sie schweigend hinter mir. Ich war froh, dass sie da war, auch wenn sie meistens ziemlich streng zu mir war.
    Â»Du bist wütend auf deinen Vater, nicht wahr?«
    Ich sagte nichts.
    Â»Ich kann dich verstehen. Ich finde es auch nicht gut, dass er sich immer mehr zurückzieht.«
    Jetzt rannen doch noch ein paar Tränen über meine Wangen. »Warum tut er das? Warum redet er nicht mehr mit mir? Glauben Sie … er … er ist böse auf mich?«
    Â»Nein, Michael! Nein, das ist er ganz sicher nicht! Er … er liebt dich mehr als alles auf der Welt!«
    Ich fuhr herum. »Er liebt mich?«, stieß ich hervor. »Davon merke ich aber nicht viel!«
    Â»Dein Vater ist eben ein besonderer Mensch«, sagte die Hexe.
    Sie hatte recht: Mein Vater war nicht wie andere Väter. Brian Ogilvy, Gründer und Eigentümer der Softwarefirma Ogilvy Systems, Computergenie, einer der zwanzig reichsten Männer der USA. Ein besonderer Mensch, kein Zweifel.
    Man könnte meinen, es müsse toll sein, der Sohn eines Milliardärs zu sein. Ein großes Haus, Angestellte, die für einen das Zimmer aufräumen, einem jeden Wunsch erfüllen und so weiter. Aber so ist es nicht.
    Mein Bruder und ich sind nie auf eine normale Schule gegangen. Wir haben nicht mit anderen Kindern gespielt, gelacht, uns gestritten. Wenn wir einen Lehrer nicht leiden konnten, dann hatten wir keine zwanzig Verbündeten in der Klasse. Stattdessen wurden wir von Hauslehrern erzogen, die wir den ganzen Tag um uns hatten, die niemanden sonst unterrichteten. Wir konnten keinen Blödsinn machen, wenn sie gerade mal nicht hinguckten, weil sie immer nur auf uns achteten. Vor allem aber hatten wir einen Vater, der panische Angst hatte, dass uns etwa zustoßen könnte – und der uns deshalb in einem riesigen Haus einsperrte, in dem es keine anderen Kinder gab.
    Ich hatte immer nur meinen Bruder gehabt. Und nun hatte er mich verlassen.
    Â»Ich will keinen besonderen Menschen«, rief ich. »Ich will einfach nur einen ganz normalen Vater!«
    Die Hexe drückte sanft meine Schulter. »Ich rede noch mal mit ihm«, sagte sie und verließ mein Zimmer.
    Doch mein Vater kam an diesem Abend nicht zu mir.
    Ich lag lange auf meinem Bett und versuchte, einzuschlafen, aber Wut und Verzweiflung hielten mich wach.
    Irgendwann hörte ich draußen auf dem Flur Schritte. Ich erkannte meinen Vater am Rhythmus seines Gangs. Er hielt vor meinem Zimmer an. Ich schloss rasch die Augen und stellte mich schlafend. Die Tür öffnete sich mit leisem Knarzen. Nach einem Augenblick schloss sie sich wieder und er ging in sein Schlafzimmer am Ende des Flurs.
    In diesem Moment wurde mir etwas klar. Die Hexe hatte recht: Mein Vater war nicht böse auf mich. Er ging mir aus einem anderen Grund aus dem Weg: Er verbarg etwas vor mir. Irgendetwas ging hinter der verschlossenen Tür seines Arbeitszimmers vor, etwas, wovon ich nichts wissen durfte.
    Ich hatte keine Ahnung, was das sein konnte. Hatte es mit Rafaels Tod zu tun? Unwahrscheinlich. Es war klar,
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