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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte
Autoren: Helmut Schmidt
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viel stärker in die Weltwirtschaft verflochten als die Weltmächte; sie haben deshalb auch ein sehr viel höheres, ein vitales Interesse an der Funktionsfähigkeit einer arbeitsteiligen Weltwirtschaft.
Demgegenüber sind die Sowjetunion und China bisher lediglich Zaungäste der Weltwirtschaft; bis zum Beginn ihrer ökonomischen Reformen haben die beiden kommunistischen Weltmächte deshalb nur ein geringes Interesse am Funktionieren der Weltwirtschaft und ihrer Institutionen gezeigt.
    Die Weltmacht USA – die größte Volkswirtschaft überhaupt – ist heute, Mitte der achtziger Jahre, zum größten Nutznießer der funktionierenden Geld- und Kapitalmärkte der Weltwirtschaft geworden. Obgleich die USA, das Realeinkommen pro Kopf zugrunde gelegt, eines der reichsten Länder der Welt sind, wurden sie zum größten Schuldner der Welt (und Japan und Deutschland unklugerweise zu den größten Gläubigerländern). Immerhin aber erbringen die USA, die EG und Japan zusammen mehr als die Hälfte des Weltproduktes und mehr als die Hälfte des Weltexportes; hierbei handelt es sich weit überwiegend um hochentwickelte industrielle Produkte und Investitionsgüter. Ohne diese drei wirtschaftlichen Kraftzentren müßten die übrigen rund hundertfünfzig Staaten der Welt auf sehr viel niedrigerem Lebenshaltungsniveau existieren. Man kann geradezu von einem die Weltwirtschaft weitestgehend beeinflussenden ökonomischen Dreieck sprechen: USA-EG-Japan. Nicht nur der Verkehr mit Waren und Dienstleistungen, auch der Kapitalverkehr und die Währungspolitik der Welt spielen sich überwiegend im Rahmen dieses Dreiecks der ökonomischen Macht ab.
    Als einzige der drei Weltmächte sind die USA zugleich ein Eckpfeiler des militärischen wie auch des ökonomischen Machtgefüges, sie sind ein Eckpunkt beider Dreiecke. Dies ist der Hauptgrund für die überragende Position der USA; denn die Sowjetunion, China, Westeuropa oder Japan sind allesamt jeweils nur an einem der beiden Dreiecke beteiligt.
    Freilich muß dies im 21. Jahrhundert nicht so bleiben. Zwar erscheint es als sehr unwahrscheinlich, aber es ist nicht völlig auszuschließen, daß Amerikas ökonomische Stärke weiterhin abnimmt. Nicht ganz auszuschließen ist auch, daß durch Wirtschaftsreformen in der Sowjetunion und in China der geringe ökonomische Einfluß dieser Weltmächte wächst. Schließlich ist denkbar, daß die Staaten
Westeuropas über ihren bisher nur schönfärberisch so genannten »Gemeinsamen Markt« hinaus sowohl ökonomisch als auch militärisch an Einfluß gewinnen, so daß aus beiden Dreiecken im nächsten Jahrhundert Vierecke werden könnten.

    Die Geschichte lehrt uns, daß Machtkonstellationen von begrenzter Dauer sind; sie können die Dynamik neuer Kräfte, neuer Ideen und neuer Staatslenker nicht aufhalten. Die durch den Wiener Kongreß geschaffene Pentarchie Europas – die Vorherrschaft Rußlands, Österreichs, Preußens, Englands und Frankreichs – und ihr inneres Gleichgewicht ist schon nach wenigen Jahrzehnten in die Brüche gegangen. Das bei Gründung der Vereinten Nationen anvisierte Gleichgewicht von fünf Staaten, die im Sicherheitsrat durch ihr Vetorecht letztlich die Verantwortung für Krieg und Frieden in der Welt tragen sollten – nämlich die Sowjetunion, die USA, China, England und Frankreich –, ist nie Wirklichkeit geworden. Die statt dessen tatsächlich eingetretene Zweierherrschaft der USA und der Sowjetunion beschränkt sich mehr und mehr auf Europa; weltweit wird sie in zunehmendem Maße zunächst China einbeziehen müssen – einen Staat, der nach seiner Bevölkerungszahl von weit über einer Milliarde Menschen mehr als viermal so groß ist wie die USA und beinahe viermal so groß wie die Sowjetunion. Nach China kommt Indien, bisher noch in großen inneren Schwierigkeiten. Und wer kann ausschließen, daß die vielen Staaten islamischer Religion einmal eine gemeinsame Dynamik entfalten werden?
    Berücksichtigt man die Zahl der beteiligten Menschen, so findet gegenwärtig in China das größte ökonomische Experiment der Weltgeschichte statt. Dieses Experiment birgt das Risiko großer Rückschläge; aber wer etwas ändern will, der muß auch Risiken wollen – er muß sie freilich kalkulieren und eingrenzen. Das machtpolitische Risiko Beijings, die militärische Verteidigung im Haushaltsplan an die vierte Stelle geschoben zu haben, erscheint objektiv als gering. Im übrigen handelt es sich bei Deng Xiaopings Reformen und bei der
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