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Meine kurze Geschichte (German Edition)

Meine kurze Geschichte (German Edition)

Titel: Meine kurze Geschichte (German Edition)
Autoren: Stephen Hawking
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entstehen, die zurückgehen auf die von Gary Gibbons und mir acht Jahre zuvor entdeckte effektive Temperatur in einem inflationären Universum. Später machten mehrere andere Physiker ähnliche Vorhersagen. In Cambridge organisierte ich einen Workshop, der von allen wichtigen Forschern auf diesem Gebiet besucht wurde. Bei dieser Gelegenheit erarbeiteten wir den größten Teil der heute geltenden Inflationstheorie, einschließlich der allesentscheidenden Dichtefluktuationen, die der Ursprung der Galaxienbildung sind und damit unserer Existenz.
    Das war zehn Jahre bevor der Satellit Cosmic Background Explorer (COBE) in verschiedenen Richtungen der kosmischen Hintergrundstrahlung Abweichungen entdeckte, die durch Dichtefluktuationen hervorgerufen worden waren. Abermals war die Theorie auf dem Gebiet der Gravitation dem Experiment voraus. Später wurden diese Fluktuationen von der Wilkinson Microwave Anisotropy Probe (WMAP) und dem Planck-Satelliten bestätigt. Wie sich herausstellte, stimmten sie mit den Vorhersagen genau überein.

    NACH DEM ursprünglichen Inflationsszenario begann das Universum mit einer Singularität, dem Urknall. Im Zuge seiner Expansion soll es dann irgendwie in einen inflationären Zustand geraten sein. Ich hielt diese Erklärung für unbefriedigend, weil, wie oben dargelegt, alle Gleichungen an einer Singularität obsolet würden. Doch wenn man nicht weiß, was aus dieser Ursingularität resultierte, kann man die Entwicklung des Universums nicht berechnen. Die Kosmologie hätte kein Vorhersagevermögen. Was wir brauchten, war eine Raumzeit ohne Singularität, wie die euklidische Version eines Schwarzen Lochs.

    NACH DEM Workshop in Cambridge verbrachte ich den Sommer am Institute for Theoretical Physics in Santa Barbara, das gerade gegründet worden war. Mit Jim Hartle überlegte ich, wie sich der euklidische Ansatz auf die Kosmologie anwenden lasse. Nach diesem Ansatz ergibt sich das Quantenverhalten des Universums aus der Feynman-Summe über eine bestimmte Klasse von Entwicklungsgeschichten in imaginärer Zeit. Da sich die imaginäre Zeit wie eine andere Richtung im Raum verhält, können Geschichten in imaginärer Zeit geschlossene Flächen bilden, wie die Erdoberfläche, ohne Anfang und Ende.
    Jim und ich meinten, das sei die natürlichste Wahl einer Klasse, wenn nicht sogar die einzig natürliche. Also formulierten wir die Kein-Rand-Hypothese (auch als Keine-Grenzen-Bedingung bekannt): dass das Universum in sich geschlossen ist und keinen Rand hat. Nach der Kein-Rand-Hypothese gleicht der Anfang des Universums dem Südpol der Erde, wobei die Breitengrade die Rolle der imaginären Zeit spielen. Das Universum beginnt gleichsam als Punkt am Südpol. Nach Norden hin expandieren die Breitenkreise, die die Größe des Universums darstellen. Die Frage danach, was vor dem Anfang des Universums war, verliert damit ihren Sinn, weil es nichts südlich des Südpols gibt.
    Die Zeit hätte, nach Breitengraden gemessen, einen Anfang am Südpol, aber der Südpol ist weitgehend wie jeder andere Punkt des Globus. Am Südpol gelten dieselben Naturgesetze wie überall. Damit wäre der uralte Einwand entkräftet, dass das Universum keinen Anfang haben kann, weil dort die Naturgesetze Schiffbruch erleiden. Stattdessen würden auch am Anfang des Universums die physikalischen Gesetze herrschen. Wir hätten die schwierige wissenschaftliche und philosophische Frage nach dem Anfang der Zeit umgangen, indem wir diese in eine Richtung des Raums verwandelt haben.
    Die Kein-Rand-Bedingung setzt voraus, dass das Universum spontan aus dem Nichts entstanden ist. Zunächst hatte es den Anschein, als würde die Kein-Rand-Hypothese nicht genügend Inflation voraussagen, doch später stellte ich fest, dass die Wahrscheinlichkeit einer gegebenen Konfiguration des Universums mit dem Volumen der Konfiguration gewichtet werden muss. Kürzlich haben Jim Hartle, Thomas Hertog (ein weiterer Ex-Doktorand) und ich entdeckt, dass es eine Dualität zwischen inflationären Universen und Räumen mit negativer Krümmung gibt. Damit sind wir in der Lage, die Kein-Rand-Bedingung auf neue Weise zu formulieren und den beträchtlichen theoretischen Apparat zu benutzen, der für solche Räume entwickelt wurde. Die Kein-Rand-Hypothese sagt voraus, dass das Universum fast vollkommen stetig beginnt, wenn auch mit winzigen Abweichungen. Diese wachsen mit der Expansion des Universums und führen zur Bildung von Galaxien, Sternen und all den anderen
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