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Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)

Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)

Titel: Mein Leben nach der Todeszelle (German Edition)
Autoren: Damien Echols
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Spiele spielen, ohne ein dauerhaftes Trauma zu behalten. Wenn ich das Gleiche in meinem jetzigen Alter noch einmal erleben sollte, müsste ich wohl für den Rest meines Lebens in eine Therapie. Die Alpträume würden mir meinen kostbaren Schlaf rauben und mein Nervenkostüm zerfransen.
    Ich kann nicht sagen, in welchem Augenblick ich anfing, meine Flexibilität zu verlieren, die Fähigkeit, verstörende Ereignisse unbeschädigt zu überstehen. Ich kann nur zurückblicken und sehen, dass ich sie nicht mehr habe. Vor Gericht zu stehen wegen eines Verbrechens, das ich nicht begangen habe, hat mich zweifellos ein wenig durcheinandergebracht, aber ich habe es mehr oder weniger intakt überlebt. Verstehen Sie mich nicht falsch – ich habe Narben an Herz und Seele, Körper und Geist, die niemals richtig heilen werden. Aber ich habe überlebt. Ich bin nicht so sicher, ob ich das gekonnt hätte, wenn mir alles später im Leben widerfahren wäre. Ich halte es für durchaus möglich, dass ich durch den Schock und das Trauma gleich im Gerichtssaal tot umgefallen wäre.
    Wenn ich nicht schon als Jugendlicher ins Gefängnis gekommen wäre, hätte ich mich niemals dort zurechtfinden können. Das Gefängnis an sich ist schon schlimm genug, aber es ist noch eine Million Mal schlimmer, wenn man weiß, dass man nicht getan hat, weshalb man jetzt hier ist. Diese Tatsache vergrößert und verstärkt den Schock und das Trauma weiter. Wie die Dinge jetzt liegen, bin ich an diesem Ort erwachsen geworden. Vielleicht hat mir das meine innere Flexibilität geraubt.
    Ich nähere mich nicht mehr jeder Situation im Leben unvoreingenommen und lernbereit. Stattdessen komme ich daher wie ein wachsamer alter Mann, der Angst hat, schon wieder auf den Arsch geschubst zu werden. Ein alter Mann weiß, dass die blauen Flecken nicht mehr so schnell vergehen wie früher. Als Jugendlicher habe ich gelernt, weil ich neugierig war. Dabei habe ich gar nicht unbedingt ans Lernen gedacht; ich war eher wie eins von diesen Tierbabys, die man im Fernsehen sieht. Sie lernen eher durch Zufall, nur weil sie mit großen Augen und verspielt durch die Welt laufen. Jetzt horte ich Wissen, weil ich Angst habe. Ich denke mir, je mehr ich weiß, desto besser kann ich eine Situation in der Hand behalten und verhindern, dass mir noch einmal etwas zustößt.
    Ich hasse es. Ich hasse die Symptome und Anzeichen des Alters, von denen ich jeden Tag mehr bei mir finde. Ich bin jetzt im selben Alter wie Hank Williams, als er starb. Unsere Situation und die Lebensumstände haben uns beide vor der Zeit alt werden lassen. Aber halten Sie mich nicht für zynisch. Ich glaube, die Sache ist umkehrbar. Ich glaube, mit Liebe kann man so gut wie alles reparieren. Mit Liebe und mit Eistee. Ich brauche bloß beides in größeren Dosen, als ich sie hier drin bekomme. Vielleicht wird jemand diese Ungerechtigkeit korrigieren und mich aus diesem Alptraum erretten. Bis dahin bleibt mir nichts anderes übrig, als mich weiter zu plagen wie bisher: » Heiliger Raymond Nonnatus, erhöre mein Gebet … «

DREI
    Das Jahr, die Vorstellung davon, ist papierdünn geworden. Fast kann ich die Hand ausstrecken und mit dem Fingernagel ein Loch hineinreißen. Der Dezember kommt. Ich fühle, wie er aufwacht. Er bringt mir einen verzauberten Ort, an dem ich mein Haupt betten kann, und einen klareren Blick auf alles, was ich sehe. Es ist, als lege die ganze Welt ihren Festtagsschmuck an, und mit jedem Tag, der vergeht, habe ich eine weitere Meile durch die eiskalte Wüste zurückgelegt.
    Als ich im zweiten Schuljahr war, beschloss eine Freundin meiner Nanny, das winzige Drei-Zimmer-Backsteinhaus in ihrem Garten an meine Familie zu vermieten, weil sie von ihrer Sozialhilfe allein nicht leben konnte. Rückblickend erscheint es mir äußerst sonderbar, dass jemand im Garten eines kleinen Vororthäuschens ein solches Gebäude hatte, das eher an einen Bunker erinnerte.
    Jemand hatte elektrische Leitungen darin verlegt, und fließendes Wasser gab es auch, aber keine Heizung. Manchmal wurde es so kalt, dass das Wasser in der Toilettenschüssel zu Eis wurde. Damit wir nicht erfroren, heizte meine Mutter den Backofen auf und ließ die Tür offen. Wir hatten eine kleine Katze, die auf die offene Klappe sprang, sich dort behaglich zusammenrollte und schlief.
    Nach einiger Zeit konnten meine Eltern ein tragbares Heizgerät borgen. Meine Mutter ließ mich und meine Schwester morgens davorstehen, wenn wir uns für die Schule
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