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Mehr als nur Traeume

Titel: Mehr als nur Traeume
Autoren: Jude Deveraux
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fühlte und ihm der Kopf schwindelte, gestattete er sich nicht, von seiner festen Haltung abzuweichen und gab ihren sehr direkten Blick trotzig zurück.
    Er konnte noch immer nicht glauben, was mit ihm geschehen war. Am Tiefpunkt seines Lebens, als es keine Hoffnung mehr für ihn zu geben schien, hatte ihm seine Mutter geschrieben, daß sie endlich etwas entdeckt habe, was ihnen doch wieder Mut machen könnte. Er hatte gerade über einem Brief an sie gesessen, in dem er ihr Fragen stellte, Ratschläge erteilte, Vorschläge machte, als er eine Frau weinen hörte. Tränen waren an diesem Ort nicht selten; aber etwas  war in dem lauten Schluchzen dieser Frau, das ihn veranlaßte, seine Feder wegzulegen.
    Er rief nach jemandem, der zu der Weinenden gehen sollte; aber niemand antwortete, und das Klagen der Frau wurde immer lauter, bis es den kleinen Raum ausfüllte und von den steinernen Wänden widerhallte. Nicholas hatte sich mit beiden Händen die Ohren zugehalten, um sich gegen dieses Schluchzen abzuschirmen; aber er konnte es dennoch hören. Ihr Weinen wurde so laut, daß er seine eigenen Gedanken nicht mehr verfolgen konnte. Er hatte das Gefühl, als müsse ihm der Kopf zerspringen.
    Als er versuchte aufzustehen, um Hilfe herbeizurufen, schien der Boden unter ihm einzubrechen. Er fühlte sich ganz leicht, als würde er schweben. Dann hielt er die Hand vors Gesicht und sah zu seinem Schrecken, daß sie keine Substanz mehr zu haben schien. Er konnte durch seine Hand hindurchblicken. Er wankte zur Tür, versuchte zu rufen; aber kein Ton kam ihm über die Lippen. Die Tür schien abzufallen, dann das Zimmer sich aufzulösen. Einen Moment lang schien er im Vakuum zu verharren. Da war eine Leere um ihn her, sein Körper nur ein wesenloser Schatten, durch den das fahle Nichts hindurchschimmerte.
    Er hatte keine Ahnung, wie lange er durch diese Leere trieb, in dem er weder Kälte noch Wärme spürte, nichts anders hörte als das Weinen dieser Frau.
    Eben noch war er im Nichts gewesen, ein wesenloser Schatten, und im nächsten Moment stand er im Sonnenlicht in einer Kirche. Seine Kleider waren anders. Nun trug er den Brustharnisch, den er nur bei bedeutenden öffentlichen Anlässen anlegte, und seine smaragdgrüne Seidenpluderhose.
    Vor ihm lag ein weinendes Mädchen oder eine weinende Frau - was von beiden sie war, konnte er nicht sagen, weil ihr die Haare aufgelöst ins Gesicht hingen - vor einer Gruft.
    Es war die Steinplatte auf der Gruft, die ihn einen Schritt rückwärts gehen ließ. Es war eine weiße Marmorskulptur von - ihm selbst. Darunter eingemeißelt stand sein Name und das Datum dieses Tages. Haben sie mich beerdigt, bevor ich tot war?, fragte er sich entsetzt.
    Es war ihm noch übel von diesem Fall ins Leere, und als er nun sein eigenes Grab erblickte, sah er sich in der Kirche um. Da waren überall Grabplatten an den Wänden. 1734, 1812, 1902.
    Nein, dachte er, das konnte nicht sein. Aber als er sich die Kirche genauer ansah, konnte er erkennen, daß da etwas anders war. Die Kirche war so nüchtern. Das Gebälk unbemalt, die Kragsteine ebenso, und das Altartuch sah aus, als wäre es von einem unbeholfenen Kind bestickt worden.
    Er blickte auf die schluchzende Frau hinunter. Eine Hexe! Eine Hexe, die ihn mit ihren Zauberkräften in eine andere Zeit und an einen anderen Ort versetzt hatte. Er hatte gefordert, daß sie ihn zurückschicken sollte - er mußte zurückkehren, weil seine Ehre, die Zukunft seiner Familie von seiner Rückkehr abhingen aber sie war nur wieder in ein hilfloses Schluchzen verfallen.
    Sie war so übellaunig und scharfzüngig, wie sie böse war. Sie erdreistete sich, ihm zu sagen, daß sie nicht wisse, wie er hierhergekommen sei - daß sie keine Ahnung habe, warum er hier stünde.
    Er fühlte sich erleichtert, als sie fortging, gewann eine gewisse Festigkeit zurück und begann zu glauben, daß er den Flug durchs Nichts nur geträumt habe. Ein Traum von bemerkenswerter Realität.
    Er hatte die Kirche verlassen und sich noch besser gefühlt, als er bemerkte, daß der Friedhof genauso aussah wie alle Friedhöfe - hielt sich aber nicht damit auf, die Daten auf den Grabsteinen zu studieren. Einer in der Kirche hatte die Jahreszahl 1982 getragen.
    Er war durch das Friedhofstor gegangen und auf die stille Straße hinausgetreten. Wo waren nur die Leute? Die Pferde? Die mit Gütern beladenen Wagen?
    Was als nächstes geschah, passierte so schnell, daß er sich nicht mehr deutlich daran erinnern
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