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Martha im Gepaeck

Martha im Gepaeck

Titel: Martha im Gepaeck
Autoren: Ulrike Herwig
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aber kein Kugeleis, nur so abgepacktes Sorbet. Das wollten wir nicht.«
    »Was hat sie dir erzählt?«, sagte Karen ungeduldig. So gern sie normalerweise alles über Marks erstes Date erfahren hätte, Marthas Geheimnis interessierte sie jetzt wirklich mehr als das Eisangebot in Glenlochlin.
    »Mrs Warnock hat gesagt, der Milchladen bei ihr an der Ecke habe noch Eis«, fuhr Mark unbeeindruckt fort, »und da sind wir dann also hin und danach noch zu Lindseys Ur-Oma rein. Die wollte wissen, wer ich bin, und als ich gesagt habe, wir seien die Familie von Martha, der deutschen Freundin von John, da hat sie sich auf einmal gefreut und gesagt: ›Na endlich! Wie schön, dass Martha meine Nachricht bekommen hat.‹ Und sie wollte wissen, ob die beiden denn jetzt endlich heiraten würden.«
    »Wieso das denn?«, fragte Karen. Ob die beiden jetzt endlich heirateten? Mit allem Respekt, aber wenn irgendjemand genug Zeit im Leben gehabt hatte, über eine mögliche Hochzeit nachzudenken, dann waren das ja wohl Martha und John. Oder lebte die alte Dame geistig in der Vergangenheit, auch wenn Mrs Warnock das Gegenteil behauptete? Dachte sie vielleicht, dass Martha noch eine junge Frau war? Und von was für einer Nachricht sprach sie? »Standen die beiden in Kontakt?«, fragte sie Mrs Warnock.
    »Nicht dass ich wüsste.« Mrs Warnock wuchtete zwei Tüten aus dem Kofferraum. »Aber meine Mutter war schon immer eigensinnig.«
    »Weil doch jetzt der Cullen MacGregor endlich tot ist«, sagte Mark triumphierend. »Das war nämlich der Bruder vom John. Dessen Grab haben wir doch dahinten gesehen. Das ist der, der erst vor kurzem abgekratzt ist.«
    »Gestorben ist«, verbesserte Karen mechanisch.
    »Und das hat sie Martha geschrieben. In einem Brief, nehm ich an. Gesimst hat sie wohl kaum.« Mark grinste über seinen eigenen Witz.
    »John hatte einen Bruder?« Bernd sah Karen überrascht an.
    »Hab ganz vergessen, dir das zu erzählen«, fiel es Karen ein. Heute war irgendwie so viel los.
    »Aha, und der hieß also Cullen? Warten Sie, Mrs Warnock, ich helfe Ihnen.« Bernd stand auf.
    »Ja, genau.« Mrs Warnock reichte ihm eine Tüte. »Danke. Seien Sie froh, dass Sie den nicht mehr kennengelernt haben.« Gleich darauf sah sie sich vorsichtig um, fast, als erwarte sie, dass auch noch der Geist von Cullen MacGregor hier herumschlich.
    »Was soll das heißen, weil er endlich tot ist?«, wandte Karen sich wieder an Mark. »Das klingt ja gerade so, als ob er eine Heirat zwischen John und Martha verboten hätte. Ja fast, als ob … als ob Martha Angst vor ihm gehabt hätte.«
    »Und genau das ist der Punkt«, sagte Mark strahlend. Es war klar, dass er sich diesen letzten Triumph genüsslich bis zum Schluss aufgehoben hatte. »Martha hatte keine Angst vor Cullen. Aber er vor ihr!«
    »Das wundert mich nicht«, murmelte Bernd.
    »Angst vor Martha?«, wiederholte Karen. Sie schüttelte den Kopf. »Wieso das denn?« Selbst als junge Frau konnte Martha wohl kaum größer als 1 , 65 m gewesen sein. Jedenfalls keine Walküre, die dem Nachkommen eines schottischen Highlanders durch ihre bloße Gegenwart Angst einflößen konnte.
    »Weil sie sein Leben zerstört hat«, meldete sich plötzlich Lindsey, die bislang nur zugehört und genickt hatte.
    »Das ist doch lächerlich«, entgegnete Karen sofort. »Martha mag ein bisschen …«, sie suchte nach dem richtigen Wort,
»… impulsiv rüberkommen, aber ganz gewiss tut sie niemandem etwas Böses. Und sie zerstört schon gar nicht das Leben eines anderen.« Sie schluckte. Der leere Rollstuhl im Haus fiel ihr ein. Hatte Martha etwas damit zu tun? Hatte sie Cullen MacGregor durch irgendeinen Zaubertrick zum Krüppel gemacht? Ihm die Beine abgesägt?
    »Also, wenn ich auch mal was sagen darf«, bemerkte Mrs Warnock, »das kann ich mir nicht vorstellen.« Sie stellte die Tüten wieder ab und stemmte die Arme in die Seiten. »Cullen MacGregor hat sich selbst das Leben zerstört, durch seine ewigen Saufgelage, seine Streitlust und seine verdammten Wetten. Die letzten zwanzig Jahre seines Lebens hat er im Rollstuhl gesessen, und wissen Sie, warum? Weil er mit über sechzig Jahren betrunken am Silvesterabend auf sein eigenes Dach geklettert ist. Wegen einer Wette mit dem alten MacMallister. Der war genauso schlimm.«
    Karen atmete aus. »Aber warum hatte Cullen denn dann Angst vor Martha?«, fragte sie.
    »Weil sie ihm sein Erbe geklaut hat.« Mark schlug sich vor Begeisterung auf die Schenkel. »Ist das nicht
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