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Magical

Magical

Titel: Magical
Autoren: Alex Flinn
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niemand.
    »Willst du den Mund voll haben, wenn er auftaucht?«, fragte Mutter.
    Das war mir egal. Ich war wegen Warner hier. Außerdem war ich hungrig. Ich hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen und Mutter hatte mir fast die ganze Woche nur Blattsalat und Wasser gegeben. Habe ich das schon erwähnt?
    Aber ich wusste, dass ich das alles besser nicht sagte, deshalb räumte ich ein: »Lieber nicht.«
    Und so gingen wir und gingen wir, bis ich meine Füße nicht mehr heben konnte, bis ich mich keinen Zentimeter mehr in meiner druckverbandartigen Jeans bewegen konnte. Doch als ich vorschlug, dass wir uns wenigstens setzen sollten, sagte Mutter: »Ich habe gehört, wie jemand gesagt hat, er hätte ihn gesehen. Er ist da draußen irgendwo.«
    Da begriff ich, wie das Tanzen die Mädchen in Die zertanzten Schuhe völlig erschöpft hatte. Ich war schon vomGehen ganz erledigt. Ich hielt Ausschau nach Lisette, aber sie war nicht da.
    Endlich sah ich jedoch Travis Beechers blonden Haarschopf über der Menge.
    »Vielleicht möchtest du dich jetzt ein wenig frisch machen«, sagte ich zu Mutter.
    »Was? Warum?«
    »Weil er jetzt da ist. Du willst doch bestimmt nicht, dass ich die Einzige bin, die wie ein Baby mit ihrer Mutter herumläuft, wenn er in meine Richtung kommt, oder?«
    Sie lächelte. »Gut mitgedacht, Emma. Ich bin froh, dass du einmal in deinem Leben endlich ein bisschen Tatkraft zeigst.«
    Tatkraft zeigen? Ich hatte Tatkraft, nur nicht in dieser Angelegenheit. Ich hatte Tatkraft in Bezug auf wichtige Dinge wie Literatur oder Liebe. Aber ich sagte nichts zu ihr, sondern beobachtete nur, wie sie mit einem Winken davonging.
    Und dann machte ich das, was jedes Mädchen (zumindest jedes kluge Mädchen), das eigentlich gar nicht auf dieser Party sein wollte, getan hätte, solange seine Mutter nicht hinschaute. Ich fand ein stilles Fleckchen in einer Ecke hinter einer Art Weidenkorb und holte mein Buch heraus.
    Ja, ich hatte ein Buch mitgenommen. Das kleinste, das ich hatte finden können und das in meine Handtasche passte – Candide von Voltaire. Das war eine Satire über einen optimistischen jungen Mann, der den Krieg, Stürmeauf hoher See und den Mord an seiner geliebten Familie tapfer erträgt – und das alles in den ersten zehn Kapiteln.
    Ich versuchte, nebenbei nach Lisette Ausschau zu halten und auch nach Mutter, die mich buchstäblich umbringen würde, mit echtem Blut und allem drum und dran, wenn sie entdeckte, dass ich las. Aber es war schwierig, weil mir das Buch so gut gefiel. Es war lustig, obwohl es so tragisch war, weil Voltaire über Krieg, Tod und Kannibalismus schrieb (die Pobacke einer alten Dame wird an einen hungrigen Mann verfüttert), als wäre es gar nichts. Diese Einstellung musste ich mir aneignen.
    Ich war gerade bei dem Teil, als Candide aus Buenos Aires flieht, wo er wegen Mordes gesucht wird, als ich über mir eine Stimme hörte.
    »Gutes Buch?« Es war ein Junge.
    Ich schob meinen Ärger darüber, entdeckt worden zu sein, beiseite, ganz zu schweigen von der Irritation, die mich immer überkam, wenn mich die Leute fragten, was ich da las (interessierte es sie wirklich oder wollten sie einfach nur ausdrücken, dass sie es merkwürdig fanden, dass ich in der Öffentlichkeit las?). Deshalb antwortete ich höflich: »Ziemlich gut.«
    Und dann blickte ich auf.
    Oh mein Gott. Es war Travis. Travis Beecher. Höchstpersönlich. Ich senkte den Blick, dann sah ich wieder auf. Ja, er war es definitiv. Er trug eine schwarze Guayabera, eine Art schickes kubanisches Hemd, und eine weiße Hose. Er war etwa in meinem Alter, nicht so groß, wie ich erwartet hatte, aber sehr viel besser aussehend mit seinen dunkelblonden Haaren und seinen braunen Augen, in denen man hätte ertrinken können.
    Außerdem hatte er einen Pickel am Kinn. Ich konnte ihn nur sehen, weil ich ihn von unten ansah, aber wegen diesem einen Pickel war es mir möglich, ihm zu antworten, ohne zu hyperventilieren. »Ähm, ja, es ist tatsächlich ziemlich gut.« Ich zeigte ihm das Cover.
    »Oh, wow. Candide. Das wollte ich schon immer mal lesen.«
    Bevor ich mich zurückhalten konnte, lachte ich. »Ja, klar.«
    »Das stimmt«, sagte er. »Ich mag Satire, nicht nur Parodie wie im Fernsehen, sondern echte Satire. Mein absoluter Lieblingsroman ist Jahrmarkt der Eitelkeit.«
    Mein Mund wurde trocken.
    Ich musste völlig baff ausgesehen haben, denn er beugte sich total besorgt zu mir herunter und sagte: »Alles okay?« Ich konnte den Pickel nicht
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