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Madame Lotti

Madame Lotti

Titel: Madame Lotti
Autoren: G Arx
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und mich für die Einladung habe bedanken können, werde ich rechts und links von Yusuf und Bouba flankiert, die mich hoch erhobenen Hauptes zurück zum Sterbespital begleiten.
    «Na, da bist du ja!» Lotti scheint mich gesucht zu haben. «Ich wäre beinahe ohne dich losgefahren. Komm, steig ein, ich muss nach Vridi-Canal, César hat mich gerufen.»
    Nach einer halben Stunde Fahrt kommen wir bei den Gleisen an, die den Slum von der Strasse trennen. Ein einziger Güterwagen steht auf den Schienen, seine Räder sind halb durchgerostet.
    Lotti meint: «Verglichen mit Vridi-Canal, ist Adjouffou ein Villenquartier.»
    César wartet schon, führt uns durch verschlungene Wege mitten hinein in ein Chaos von mehr oder minder breiten Wegen, Abfallhaufen, streunenden Hunden, scharrenden Hühnern. César will Tempo machen und uns zu dem Mädchen führen, für welches er Lotti kommen liess. Aber es ist schwierig, vorwärts zu kommen. Überall wird Lotti herzlich begrüsst, man will sich mit ihr unterhalten, sie berühren. «La Blanche» hetzt hinter César her, entschuldigt sich nach rechts und links und bleibt stehen, als ihr ein grosser Mann mit weit auseinander stehenden Zähnen entgegenkommt.
    «Ibrahim!», begrüsst sie ihn erfreut, schaut ihn ernst an, «gehts nicht gut?»
    Der ganze Kopf des Mannes ist so mit Schweissperlen bedeckt, dass man weder die Hitze noch Fieber dafür verantwortlich machen kann. Ibrahims Körper steht unter Stress.
    Als er das Hemd auszieht und uns seinen Rücken präsentiert, sehen wir wieso. Stecknadelkopfgrosse mit wässriger Flüssigkeit gefüllte Bläschen bedecken ihn vom Schulterblatt bis zu den Hüften. Allerdings nur auf der rechten Seite der Wirbelsäule. Die charakteristischen Symptome einer Gürtelrose, einer durch Herpesviren hervorgerufenen Infektion, die sich immer nur halbseitig zeigt und wahnsinnige Schmerzen hervorruft. Die Pein, die eine so grossflächige Gürtelrose verursacht, muss unaushaltbar sein.
    Lotti empfiehlt Ibrahim, zur Kräuterfrau im Slum zu gehen, und verspricht ihm, Medikamente vorbeizubringen. Während wir weiter hinter César hereilen, erzählt mir Lotti, dass Ibrahim Moslem ist und er sie – nachdem sein vierjähriger Sohn in ihren Armen gestorben war – mit den Worten tröstete: «Du hast alles Menschenmögliche getan, Lotti. Du hast nicht das letzte Wort. Das letzte Wort hat Allah, und du, du bist nicht Allah. Also akzeptiere es.»
    Das Mädchen, zu dem uns César führt, ist etwa sieben Jahre alt, liegt in einem Bretterverschlag auf dem Boden, ist apathisch und hoch fiebrig.
    «Malaria, wir nehmen sie mit!», ist Lottis Diagnose.
    César nimmt die Kleine auf den Arm, wir gehen zurück zum Auto, werden aber noch einmal aufgehalten. Eine Mutter bittet Lotti, schnell bei ihrer Tochter vorbeizuschauen. Während César weitergeht, biegen wir in eine enge Gasse ein. Es stinkt fürchterlich. Schliesslich kommen wir zu einer kleinen sauberen Hütte, vor welcher ein etwa neunjähriges Mädchen liegt. Lotti hilft ihr, sich aufzusetzen, sieht ihr in die Augen, zieht das Lid nach unten. Was rötlich schimmern sollte, ist fast so weiss wie ihr Augapfel. Blutarmut wegen Unterernährung, infolge der einseitigen, eiweiss- und vitaminlosen Nahrung.
    Oft gibt es nur einen Teller weissen Reis mit einem Würfel Maggi, der den Geschmack von Gemüse, Fleisch oder Fisch vorgaukelt und nichts anderes ist als ein bisschen Fett, null Vitamine und viel Geschmacksverstärker. Lotti bittet die Mutter, die Kleine zum Auto zu tragen, sie werde versuchen, ihr eine Bluttransfusion zu machen, und ihr dann Geld für Nahrung geben. Ein Tropfen auf einen heissen Stein?
    Lotti bringt beide Kinder ins Ambulatorium, wo sich Dr. Ableauble Yao, ein junger Arzt, um sie kümmert.
    Im Sterbespital fragt mich Lotti, ob ich mit ins Männerzimmer kommen wolle, sie habe Dieu-Donné dort in ein leer gewordenes Bett gelegt – was nichts anderes heisst, als dass wieder jemand gestorben ist – und sie wolle ihm den Verband wechseln.
    «Ich komme später.»
    Lotti geht, ich mache mit Emanuel «Hoppe, hoppe Reiter», und nachdem er das fünfte Mal «in den Graben» gefallen ist, gehe ich, obwohl er noch lange nicht genug hat, zum Männerzimmer. Der Geruch von Eiter liegt dick und schwer in der Luft. Es ist nicht mehr nur das Bein von Marcel, das stinkt, es ist jetzt auch der Hals von Dieu-Donné. Lotti und der Pfleger Ange versuchen, möglichst viel Eiter aus den Wunden zu drücken. Ich verschwinde, nicht um
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