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Love Alice

Love Alice

Titel: Love Alice
Autoren: Nataly Elisabeth Savina
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Cherry sie zu. Überrascht drücke ich automatisch fester. Cherry stemmt kräftiger dagegen, aber ich mache ein trotziges Gesicht und gebe nicht auf. Dabei lächele ich, weil mir sonst nichts einfällt und ich nicht unhöflich sein möchte.
    »Und wenn ich Cherry sage, darf ich dann durch?«, frage ich kokett. Es ist so albern.
    »Du brauchst mir nicht hinterherzulaufen«, sagt Cherry sehr deutlich.
    Ich sehe sie an, während mein Bauch gefriert.
    »Du gehst ja doch wieder weg«, fügt Cherry hinzu.
    Ich sehe sie verständnislos an, was sie aber noch mehr zu ärgern scheint.
    »Was heißt das, weg? Ich bin doch da«, antworte ich unsicher und drücke weiter gegen die Tür.
    Cherry stemmt sich dagegen.
    »Hau ab!«, brüllt sie auf einmal mit solcher Wucht, dass ich Angst bekomme.
    Ich lasse die Tür los und sehe, wie Cherry vor unserem Klassenzimmer Andy schubst und Andy mit gespreizten Armen mit Absicht auf Tuulas Busen fällt.
    Den Rest des Tages behandelt sie mich wie Luft, während mir die Winterkälte in die Glieder zieht. Nach der letzten Stunde lasse ich auf der Toilette so lange warmes Wasser über meine Hände laufen, bis alle anderen gegangen sind. Dennoch treffe ich Cherry an der Bushaltestelle; schenke ihr aber demonstrativ keine Beachtung. Ich warte mit hochgezogenen Schultern am Bordstein, so weit weg von ihr wie nur möglich. Als der Bus endlich kommt, sind wir beide erleichtert.
    Im Bus geht Cherry nach hinten durch, ich bleibe in der Mitte stehen. Ich merke, dass sie mich beobachtet, und richte mich triumphierend auf. Gerade da fährt der Bus eine steile Kurve und ich greife nach der Haltestange über meinem Kopf. Sie ist zu hoch, ich mache einen Sprung und klammere mich mit den Händen daran fest. Wie ein Affe hänge ich jetzt an der Stange und schlackere hin und her. Je schneller der Bus wird, desto heftiger. Die Erwachsenen schauen empört, das gefällt mir besonders gut, deshalb beschließe ich, einfach dort oben hängen zu bleiben. Cherry gluckst. Auf einmal hängt sie auch an der Stange. Der Bus nimmt an Geschwindigkeit zu. Unsere Körper pendeln hin und her, und wir kichern, wenn der Bus wieder in eine Kurve kommt. Als Cherrys Haltestelle kommt und die Bustüren zu beiden Seiten aufklappen, lässt sich Cherry fallen und springt heraus. Sie winkt, als die Bustüren sich schließen.
    Zu Hause finde ich Mama in ihrem Zimmer. Sie schläft unter einem Haufen von Zeitungsseiten. Ihre Hände ruhen auf dem Kulturteil, die Finger mit dunkelroten Fingernägeln weit gespreizt. Ich rieche vorsichtig an dem Lack, er ist noch ganz frisch. Die Nachttischlampe ist an, die Glühbirne summt leise. Ich setze mich auf die Bettkante und betrachte Mamas Gesicht. Die kantigen Wangenknochen, die Hakennase, die vollen Wimpern. Irgendwann muss sie ein Kind gewesen sein. Ohne Charaktergesicht, nur Kulleraugen und die hohe Stirn, wie bei einem Alien.
    Ich schiebe die Zeitungen auf den Boden. Auf einer Titelseite sind zwei Fotos von Mädchen in meinem Alter abgedruckt. Das eine Mädchen lächelt in die Kamera. Das andere schaut ernst, im Hintergrund steht eine Geburtstagstorte. Die Bilder sind wie Todesanzeigen schwarz umrandet. Ich versuche, nicht zu laut zu rascheln, und überlege, was ich tun soll. Einen Tee kochen vielleicht.
    Auf dem Beistelltisch entdecke ich ein gerahmtes Foto: Mama mit mir als Baby. Früher war noch ein Mann mit auf der Aufnahme, den hat sie irgendwann abgeschnitten. Ich schätze, es war mein Vater, bin mir aber nicht sicher. Jetzt passt das Bild genau in den Rahmen.
    Mama träumt, ihre Augäpfel flattern hin und her. Hannah Blumberg ganz privat. Ich nehme ihr leeres Wasserglas und schalte das Licht aus. Eine seltsame Wärme, ein Gefühl großer Liebe erfüllt mich. Oma weiß, was für ein inniges Team ich und Mama abgeben. Sie ist deshalb eifersüchtig. Manchmal hält Oma Mama vor: Alice wird später genauso kalt wie du, dann wird es dir leidtun. Als wäre ich nicht mit im Raum. Ich hoffe, dass sie lügt und ich niemals so herzlos zu Mama sein werde, wie sie zu meiner Oma ist. Dennoch, die Prophezeiung verfolgt mich, manchmal habe ich Angst, dass sie recht behält.
    Ich stelle Mamas Glas in der Küche ab, hole mir eine Packung mit Vanilleeis aus dem Kühlschrank und kratze daraus mit einem Messer Eisflocken in eine Schüssel. Auf dem Tisch steht eine angebrochene Flasche Weißwein und Mamas geliebter Kaffeelikör. Langsam kippe ich mir aus beiden Flaschen etwas über mein Eis und garniere das
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